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Anarchie

Von

Immer geschmäht, verflucht – verstanden nie,
Bist du das Schreckbild dieser Zeit geworden…
Auflösung aller Ordnung, rufen sie,
Seist du und Kampf und nimmerendend Morden.

O laß sie schrei’n! – Ihnen, die nie begehrt,
Die Wahrheit hinter einem Wort zu finden,
Ist auch des Wortes rechter Sinn verwehrt.
Sie werden Blinde bleiben unter Blinden.

Du aber, Wort, so klar, so stark, so rein,
Das alles sagt, wonach ich ruhlos trachte,
Ich gebe dich der Zukunft! – Sie ist dein,
Wenn jeder endlich zu sich selbst erwachte.

Kommt sie im Sonnenblick? – Im Sturmgebrüll?
Ich weiß es nicht … doch sie erscheint auf Erden! –
„Ich bin ein Anarchist!“ – „Warum?“ – „Ich will
Nicht herrschen, aber auch beherrscht nicht werden!“

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Gedicht: Anarchie von John Henry Mackay

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Anarchie“ von John Henry Mackay setzt sich mit dem vielschichtigen Begriff der Anarchie auseinander und verteidigt ihn gegen weitverbreitete Missverständnisse und Vorurteile. Mackay rückt die Idee der Anarchie aus dem Schatten des gesellschaftlichen Schreckbildes ins Licht einer freiheitlichen Utopie.

Gleich zu Beginn macht das lyrische Ich deutlich, dass die Anarchie häufig verkannt und dämonisiert wird. Die Gesellschaft verknüpft sie mit Chaos, Gewalt und Zerstörung – ein Missverständnis, das laut dem Sprecher aus einem Mangel an Erkenntnis und echter Auseinandersetzung resultiert. Der Vorwurf „Auflösung aller Ordnung“ wird als oberflächlich entlarvt, als Projektion derer, die sich nicht die Mühe machen, den „rechten Sinn“ hinter dem Begriff zu erkennen.

Dem gegenüber stellt das Gedicht ein ganz anderes Bild der Anarchie: ein klares, starkes, reines Wort, das Sehnsucht nach individueller Freiheit ausdrückt. Es geht Mackay nicht um Zerstörung, sondern um Selbstbestimmung und die Ablehnung jeglicher Herrschaft – sei es über andere oder durch andere. Das Gedicht formuliert damit eine ethische Haltung, die auf Freiheit, Verantwortung und Individualität gründet.

Besonders eindrücklich ist das Bekenntnis am Ende: „Ich bin ein Anarchist!“, das nicht aggressiv oder provokativ wirkt, sondern wie ein Akt innerer Klarheit und Überzeugung. Der abschließende Satz „Nicht herrschen, aber auch beherrscht nicht werden!“ fasst das Ideal anarchistischer Freiheit prägnant zusammen. Es geht nicht um Macht über andere, sondern um die Abschaffung von Machtverhältnissen überhaupt – ein Ideal, das Mackay der Zukunft anvertraut.

Insgesamt präsentiert das Gedicht die Anarchie als visionäre Idee, die jenseits von Gewalt und Chaos steht. Sie ist Ausdruck einer tiefen Sehnsucht nach individueller Freiheit und sozialer Gerechtigkeit, getragen von der Hoffnung, dass die Menschen eines Tages zu sich selbst erwachen und die Freiheit des Anderen ebenso achten wie ihre eigene.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.