In deinem Zimmer
In deinem Zimmer fand ich meine Stätte,
In deinem Zimmer weiß ich, wer ich bin.
Ich liege tagelang in deinem Bette
Und schmiege meinen Körper an dich hin.
Ich fühle Tage wechseln und Kalender
Am Laken, das uns frisch bereitet liegt,
Ich staune manchmal still am Bettgeländer,
Wie himmlisch lachend man die Zeit besiegt.
Bisweilen steigt aus fernen Straßen unten
Ein Ton zu unserm Federwolkenraum,
Den schlingen wir verschlafen in die bunten
Gobelins, gewirkt aus Küssen, Liebe, Traum.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „In deinem Zimmer“ von Ernst Wilhelm Lotz beschreibt in zärtlich-intimer Sprache einen Rückzugsort der Liebe und Geborgenheit. Der Raum, das „Zimmer“, wird zur existenziellen Heimat des lyrischen Ichs – ein Ort, an dem Identität, Zeit und Außenwelt in den Hintergrund treten und durch Nähe und Zweisamkeit aufgehoben werden.
Gleich in der ersten Strophe wird die existenzielle Bedeutung dieses Raums deutlich: Das lyrische Ich findet nicht nur einen physischen Ort, sondern auch „seine Stätte“, ein Zuhause im umfassenden Sinn. In der Nähe des geliebten Menschen offenbart sich ihm das eigene Selbstverständnis: „Ich weiß, wer ich bin.“ Diese Formulierung bringt zum Ausdruck, dass emotionale Nähe auch Selbstvergewisserung bedeutet – das Ich wird im Du gefunden.
Die zweite Strophe thematisiert den subjektiven Umgang mit Zeit. Obwohl „Tage wechseln“ und sogar der „Kalender“ vergeht, bleibt das Erleben des Liebesraums beständig. Die Wahrnehmung verschiebt sich: Zeit wird nicht als linearer Ablauf, sondern als sanfte Bewegung auf dem „Laken“ erfahren – ein sehr sinnliches, fast heiteres Bild. Das Staunen am „Bettgeländer“ lässt das einfache, alltägliche Möbelstück zur Schwelle einer zeitenthobenen Erfahrung werden, an der die Liebe über das Vergängliche triumphiert.
In der letzten Strophe wird der Kontrast zwischen Innen- und Außenwelt angedeutet: Töne aus der Ferne – aus der „Straße unten“ – dringen zwar in das Zimmer, verlieren dort aber ihre Fremdheit. Selbst das Außen wird liebevoll integriert, verschlungen in die „Gobelins“ aus „Küssen, Liebe, Traum“. Diese kunstvolle Metapher beschreibt die intime Welt als einen gewebten Wandteppich aus Emotionen, der Schutz und Schönheit zugleich bietet. Der „Federwolkenraum“ verstärkt das Gefühl von Leichtigkeit, Geborgenheit und Entrückung.
„In deinem Zimmer“ ist damit ein stilles, doch tief erfülltes Liebesgedicht, das das gemeinsame Erleben zweier Menschen zum Zentrum einer fast mythischen Gegenwelt macht. Lotz feiert in knappen, konzentrierten Versen die Macht der Liebe, Zeit zu überwinden und das Ich in der Nähe des Anderen zu vollenden.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.