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Hart stoßen sich die Wände

Von

Hart stoßen sich die Wände in den Straßen,
Vorn Licht gezerrt, das auf das Pflaster keucht,
Und Kaffeehäuser schweben im Geleucht
Der Scheiben, hoch gefüllt mit wiehernden Grimassen.

Wir sind nach Süden krank, nach Fernen, Wind,
Nach Wäldern, fremd von ungekühlten Lüsten,
Und Wüstengürteln, die voll Sommer sind,
Nach weißen Meeren, brodelnd an besonnte Küsten.

Wir sind nach Frauen krank, nach Fleisch und Poren,
Es müssten Pantherinnen sein, gefährlich zart,
In einem wild gekochten Fieberland geboren.
Wir sind versehnt nach Reizen unbekannter Art.

Wir sind nach Dingen krank, die wir nicht kennen.
Wir sind sehr jung. Und fiebern noch nach Welt.
Wir leuchten leise. – Doch wir könnten brennen.
Wir suchen immer Wind, der uns zu Flammen schwellt.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Hart stoßen sich die Wände von Ernst Wilhelm Lotz

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Hart stoßen sich die Wände“ von Ernst Wilhelm Lotz ist ein leidenschaftlicher Ausdruck des expressionistischen Welthungers, der Unruhe und Sehnsucht einer jungen Generation. Es stellt ein kraftvolles Stimmungsbild urbaner Enge und innerer Aufbruchsstimmung dar – ein Wechselspiel zwischen bedrückender Gegenwart und dem Drang nach einem neuen, intensiveren Leben.

Gleich zu Beginn wird die Stadt als klaustrophobischer Raum beschrieben. Die „Wände in den Straßen“ stoßen hart aufeinander, das Licht „keucht“ über das Pflaster, als wäre es selbst erschöpft. Diese Bilder vermitteln eine gespannte, fast gewaltsame Atmosphäre der Großstadt. Das „Geleucht“ der Kaffeehäuser, das Grimassen und Spiegelungen erzeugt, verstärkt den Eindruck einer Welt voller Oberflächen, Verzerrung und Reizüberflutung.

Dem urbanen Druck steht eine starke innere Sehnsucht entgegen: Das lyrische Ich und seine Generation sind „krank nach Süden“, nach Wärme, Weite, Natur und Exotik. Die Wüste, das brodelnde Meer, die „ungekühlten Lüste“ – all das sind Projektionen eines anderen Lebens, das im Kontrast zur eigenen Realität steht. Es ist die Suche nach Ursprünglichkeit, nach einer Welt außerhalb der Zivilisation, in der das Leben wieder unmittelbarer, körperlicher, gefährlicher ist.

Auch die erotischen Wünsche sind gesteigert und idealisiert: Die Frau wird zur „Pantherin“, zur gefährlich-zarten Gestalt, geboren in einem „wild gekochten Fieberland“. Es geht hier nicht um konkrete Beziehungen, sondern um eine fast mythologische Vorstellung von Sinnlichkeit und Überschreitung. Die Lust ist nicht bloß sexuelles Begehren, sondern Ausdruck des allgemeinen Drangs nach Grenzerfahrung und Auflösung der Normen.

Die letzte Strophe bringt die zentrale Aussage des Gedichts auf den Punkt: „Wir sind nach Dingen krank, die wir nicht kennen.“ Diese Unbestimmtheit verweist auf ein existenzielles Sehnen, das sich nicht rational erklären lässt – ein Ausdruck jugendlicher Rastlosigkeit, ein Hunger nach dem Absoluten. Das Bild der „leise leuchtenden“ Jugend, die aber „brennen“ könnte, spricht von unterdrückter Energie, von einem Potenzial, das nur auf den richtigen „Wind“ wartet, um zur Flamme zu werden.

„Hart stoßen sich die Wände“ ist somit ein leidenschaftliches Manifest des Expressionismus: Es verleiht dem Drang nach Aufbruch, Ekstase und neuen Welten eine eindringliche Sprache. Lotz fängt die Zerrissenheit zwischen äußerer Enge und innerem Feuer mit großer Bildkraft und existenzieller Tiefe ein.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.