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Sommernacht über Land

Von

Von Rüstern schauert die hängende
Ernte der Traurigkeit:
Schon steigt aus Wurzeln die drängende,
die untere Ewigkeit.

Aus Brunnen krümmt sich der tastende
Verwesende Nebel und klimmt.
Aus Löchern kommt das fastende
Grauen und nimmt und nimmt.

Hat der Horizont seine klagenden
Harfen zum Klagen gebracht?
Die Erde hat ach die tragenden
Schollen zu Wolken gemacht.

Die Nähe voll bitter steigender
Schluchzer wird ungewiss.
Der Himmel steht wie ein schweigender
Berg der Kümmernis.

Der Kümmernisberg steht gläsern still,
Vor alle Ziele gestellt.
Und wer in süßere Meilen nun will,
Dem steht er vor der Welt.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Sommernacht über Land von Oskar Loerke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Sommernacht über Land“ von Oskar Loerke ist eine eindringlich düstere Naturvision, die den sommerlichen Abend nicht als Zeit des Friedens, sondern als Moment des aufsteigenden Unheils beschreibt. Es handelt sich um ein existenziell aufgeladenes Naturgedicht, das eine tiefe, unheimliche Stimmung vermittelt und den Übergang zwischen Tag und Nacht als Symbol für innere und kosmische Dunkelheit verwendet.

Bereits in der ersten Strophe kündigt sich ein Unbehagen an: Die Ulmen (Rüster) werfen ihre „hängende Ernte der Traurigkeit“ ab, ein Bild für die Schwere und Melancholie, die sich über das Land legt. Von den Wurzeln her dringt eine „untere Ewigkeit“ hervor – eine geheimnisvolle, bedrohliche Macht, die aus dem Dunkel des Erdinneren aufzusteigen scheint. Dieser Ausdruck verleiht der Erde eine fast metaphysische Tiefe, aus der nicht Leben, sondern Schwermut und Zeitlosigkeit emporsteigen.

Das zweite Bild verstärkt diese Atmosphäre des Verfalls: Nebel steigt aus Brunnen auf, „verwesend“ und „tastend“. Auch aus Löchern kommt ein „fastendes Grauen“, das sich gierig alles aneignet. Die Sprache ist konkret und körperlich, aber gleichzeitig von symbolischer Wucht – es ist, als würde die Nacht selbst zu einem lebendigen, negativen Wesen, das Besitz ergreift. Das Motiv des Fastens verstärkt das Gefühl einer unheimlichen Entbehrung und asketischen Bedrohung.

In den folgenden Strophen dehnt sich die Bedrückung auf die gesamte Landschaft aus: Der Horizont wird zu einem musikalischen, aber klagenden Instrument – Harfen, die zum Weinen gebracht werden. Die Erde verliert ihre Form und ihre tragenden Schollen, die eigentlich für Halt stehen, verwandeln sich in instabile Wolken. Die Natur selbst scheint in einen Zustand der Auflösung zu geraten.

Der Höhepunkt des Gedichts ist der „Kümmernisberg“, eine eindrückliche Metapher für ein unüberwindliches Hindernis aus Trauer. Der Himmel wird zu diesem stillen, „gläsernen“ Berg, der alles blockiert, was nach Hoffnung oder Weitergehen strebt. Wer ins „süßere“, also vielleicht bessere oder leichtere Leben will, wird von ihm aufgehalten. Der Berg steht „vor der Welt“ – als absolute Grenze und Ausdruck einer tiefen existenziellen Schwermut.

Loerkes Gedicht ist damit eine dichte lyrische Meditation über die Schwere des Daseins. Die Sommernacht wird nicht romantisiert, sondern als Zeit des seelischen Abstiegs und der Verlorenheit gedeutet. Natur wird hier nicht zur Quelle der Versöhnung, sondern zum Spiegel innerer Dunkelheit, in der das Ich an der Schwelle zwischen Welt und Unerreichbarem verharrt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.