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Walpurgisnacht

Von

Liebe Mutter, heut′ Nacht heulte Regen und Wind.
»Ist heute der erste Mai, liebes Kind.«

Liebe Mutter, es donnerte auf dem Brocken droben.
»Liebes Kind, es waren die Hexen oben.«

Liebe Mutter, ich möcht keine Hexen sehn.
»Liebes Kind, es ist wohl schon oft geschehn.«

Liebe Mutter, ob wohl im Dorf Hexen sind?
»Sie sind dir wohl näher, mein liebes Kind.«

Liebe Mutter, worauf fliegen die Hexen zum Berg?
»Liebes Kind, auf dem Rauche von heissem Werg.«

Liebe Mutter, worauf reiten die Hexen zum Spiel?
»Liebes Kind, sie reiten auf′nem Besenstiel.«

Liebe Mutter, ich sah gestern im Dorf viel Besen.
»Es sind auch viel Hexen auf′m Brocken gewesen.«

Liebe Mutter, ′s hat gestern im Schornstein geraucht.
»Liebes Kind, es hat Einer das Werg gebraucht.«

Liebe Mutter, in der Nacht war dein Besen nicht zu Haus.
»Liebes Kind, so war er zum Blocksberg hinaus.«

Liebe Mutter, dein Bett war leer in der Nacht.
»Deine Mutter hat oben auf dem Blocksberg gewacht.«

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Walpurgisnacht von Willibald Alexis

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Walpurgisnacht“ von Willibald Alexis entfaltet sich als ein Dialog zwischen einem Kind und seiner Mutter, in dem die unheimliche Atmosphäre der Walpurgisnacht durch die kindliche Neugier und die kryptischen Antworten der Mutter hindurchscheint. Das Gedicht baut eine Spannung auf, indem es die unschuldigen Fragen des Kindes mit Andeutungen auf Hexenaktivitäten verbindet. Die wiederholte Anrede „Liebe Mutter“ und „Liebes Kind“ unterstreichen die Vertrautheit, während die Inhalte des Gesprächs diese zunehmend untergraben.

Die Fragen des Kindes kreisen um die traditionellen Vorstellungen von der Walpurgisnacht: heulender Wind, Donner auf dem Brocken, Hexen, die auf Besen reiten und mit Werg fliegen. Die Mutter antwortet jeweils mit einer Mischung aus Bestätigung und Andeutung, wodurch die Grenze zwischen Realität und Aberglaube verschwimmt. Besonders beunruhigend ist die Antwort auf die Frage, ob es Hexen im Dorf gebe, worauf die Mutter erwidert, sie seien dem Kind wohl näher. Diese Aussage erzeugt ein Gefühl der Bedrohung und lässt den Leser spekulieren, wer oder was gemeint sein könnte.

Die letzte Strophe bringt die erschreckende Enthüllung: Der Besen der Mutter war in der Nacht nicht im Haus, und ihr Bett war leer. Die Antwort der Mutter, sie habe auf dem Blocksberg gewacht, bestätigt auf subtile Weise die Vermutung des Kindes und überführt die Mutter quasi selbst der Hexerei. Diese Auflösung ist umso effektiver, als sie nicht explizit ausgesprochen wird, sondern dem Leser überlassen bleibt.

Das Gedicht nutzt die Form des Dialogs, um eine beunruhigende und mehrdeutige Atmosphäre zu schaffen. Die Einfachheit der Sprache und die volksliedhafte Struktur kontrastieren stark mit dem unheimlichen Thema. Alexis spielt geschickt mit den Ängsten und Fantasien, die mit der Walpurgisnacht verbunden sind, und lässt den Leser mit einem Gefühl der Unsicherheit und des Zweifels zurück. Die Frage, ob die Mutter tatsächlich eine Hexe ist oder ob es sich nur um die Fantasie des Kindes handelt, bleibt unbeantwortet und trägt zur anhaltenden Wirkung des Gedichts bei.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.