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Sistinische Kapelle

Von

Nun so seh′ ich doch endlich einmal die berühmte Kapelle,
Aber das närrische Zeug, dort an der Decke, was ist′s?
»Wie? ich verstehe Sie nicht, das sind Angelo′s große Propheten!« –
Spaß bei Seite, mein Freund, wär′ das der Michel im Ernst?

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Gedicht: Sistinische Kapelle von Wilhelm Friedrich Waiblinger

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Sistinische Kapelle“ von Wilhelm Friedrich Waiblinger ist eine kurze, ironische Auseinandersetzung mit dem Ruhm und der Bedeutung des Kunstwerks, das es benennt. Der Text entlarvt auf humorvolle Weise die Kluft zwischen der erwarteten Ehrfurcht vor einem Meisterwerk und dem ganz persönlichen, vielleicht weniger kunstverständigen Eindruck des Betrachters. Die wenigen Verse konzentrieren sich auf den Moment der Begegnung und die damit einhergehende, unbefangene Kritik.

Der Kern des Gedichts ist ein Dialog, der die Erwartungshaltung des Betrachters und seine tatsächliche Reaktion auf das Gesehene gegenüberstellt. Die Erwartung wird implizit durch die berühmte Kapelle suggeriert, ein Ort, der für Kunstliebhaber und historisch Interessierte von großer Bedeutung ist. Die erste Zeile deutet bereits auf eine gewisse Erleichterung und Neugier hin, endlich einen berühmten Ort gesehen zu haben. Doch die nächste Zeile bricht mit der Erwartungshaltung: Der Sprecher kann mit dem, was er an der Decke sieht, nichts anfangen und bezeichnet es als „närrisches Zeug“. Hierin spiegelt sich die mögliche Überforderung mit der Komplexität und dem Anspruch des Kunstwerks.

Die Reaktion des vermeintlichen Freundes, die in Anführungszeichen steht, fungiert als konventionelle Antwort, die das richtige kunsthistorische Vokabular verwendet und auf die Bedeutung des Werks und des Künstlers Michelangelo hinweist. Die Frage des Sprechers, ob der Freund die Kunst ernst nehmen würde, ist ein ironischer Seitenhieb auf die oft übertriebene Ehrfurcht und den Kult um große Kunstwerke. Der Sprecher scheint die Erhabenheit und den Anspruch der Kunstwerke zu hinterfragen und bevorzugt einen direkteren, weniger kunsttheoretischen Zugang.

Waiblingers Gedicht ist ein feinsinniger Kommentar zur Kunstbetrachtung und zum oft übertriebenen Pathos, mit dem Kunstwerke bewertet werden. Es stellt die Frage, ob der persönliche Eindruck und die Unmittelbarkeit des Erlebens durch die vorgegebene Bedeutung und den Ruhm des Kunstwerks überlagert werden. Durch die einfache Sprache und den humorvollen Ton gelingt es dem Autor, eine lebendige und leicht zugängliche Kritik an der vermeintlichen Ernsthaftigkeit des Kunstbetriebs zu üben.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.