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Olevano – Viertes Lied

Von

Eine Stunde des Tages aber weiht′ ich
Dir, o Loggia! Des Morgens, wenn die Sonne
Aus den Hernikerfelsen, überm kahlen
Sanft umdufteten Haupte des Serone
Sich erhüb′, und die Purpurflamme glühend
Um Olevano′s Häuserpyramide
Höh′re Schönheit ergösse, säß ich längst schon
Auf des Hauses Balkon, an dem das Weinlaub
Schwellend volle Gewinde hoch emporrankt,
Ueberquellend vom Geist des Freudengottes
Schon die Traube dem süßen Lichte zulacht,
Wo in mächtigen Blättern aus der Mauer
Mit der reifenden Frucht die Feige vorgrünt,
Saftig schon die Citrone lacht, die goldne,
Die Melon′ ihr Gewächs zur Erde senket,
Und zur Seite der einsamen Cypresse,
Aus dem Busche die Goldcitrone blinket.
Helle säh′ ich die wind′gen Schlösser blinken,
Sähe Rocca di Cavi, morgenheiter
Der Capranica Burg, Kastanienhügel
Führten nun mir den Blick in der Campagna
Bunte, schimmernde Gründe weit zur Ferne,
Bis wo durch die Elysiumshaine Cavi′s
Palestrina der Schattenpfad sich nähert,
Zu der Volsker Gebirge, Cavignano,
Bis zur Scurcola und Anagni′s Tempe.

Und die volle Erinn′rung schweifte manchmal
In mein Latium hin, das ewig theure,
Zu den Hainen Albano′s, zu Gandolfo′s
Klarem, erlenbekränzten See, zu Nemi′s
Altem, dunkeln Dianenwald, Genzano′s
Meeresaussicht, und zu des Monte Cavo,
Weltbeherrschenden Haupt, wo oft mein Auge
Von Oreste, von Tibur′s Paradiese
Das unendliche Meer bis zu der Circe
Fernem, bläulichen Vorgebirg′, hinunter
Zu Parthenope′s Zauberinseln schaute,
Schweifte gerne zum rebenvollen Hügel,
Wo die Stadt der Lavinia, fabelheilig,
Drei Jahrtausende bald sich schon im Lichte
Des hesperischen Himmels sonnt; sie schweifte
Nach des ewigen Frühlings Wollusthainen,
Frascatanischen Gärten zu, und bliebe
Träumend stehn an der Einzigen, der Hehren,
Unaussprechlich Erhab′nen, deren Kuppeln
Aus der Schwermuth und Oede der Campagna
Einsam ragen und doch die Welt beherrschten.

Einst auch so auf dem Hausbalkone saß ich,
Unstät irrte mein Auge von dem Maulthier,
Das den Bergpfad herauf der träge Führer
Der rothwammsige, nach des Thores grauer
Wölbung führte, hinweg in weite Fernen:
Lange mocht′ ich wohl so hinüberschauen,
Den Gedanken folgend, die gleich den Wolken
Manchmal über die schöne Erde schweben,
Und im fliegenden Wechsel bald verwehen,
Als mein Blick nach Olevano′s Terrassen
Aus der Ferne zumal sich kehrt; und siehe,
Drüben, wo sich am Fels das Dorf emporhebt,
Da gewahr′ ich auf hoher Loggia schöne,
Farb′ge Frauengestalten, eine aber
Ragt vor allen hervor an Wuchs und Hoheit
Und an Jugend, an reicher Tracht und Kleidung.
Weiß, in reizendem Faltenwurf erglänzt das
Busentuch, um den Nacken sanft sich wölbend;
Albanesische Sitte, weiß der Schleier,
Blendend weiß das Gewand auch, Rosenbänder
Und viel andere zieren Brust und Arme,
Groß und königlich anzuschauen ist sie,
Dienerinnen nur dünken mir die andern;
Nieder aber von des Balkones Höhe,
All die schönen Olivenhaine, die den
Fuß des Felsens mit Silbergrün bedecken,
All die Fülle der Feigen und Kastanien
Und die farbigen Gründe der Campagna
Ueberblickte sie, zu der Volsker fernen,
Violetten Gebirgen dann sich wendend.
Und mir däuchte – warum? ich wüßt′ es deutlich
Nicht zu sagen – ein Weib aus grauen Zeiten
Aus homerischer Welt zu schauen, sei es
Nun Andromache, die von Priams Beste
Ueber Ilion′s Eb′ne blickt, wo Hektor
Mit den Danaern kämpft, sei es die schöne
Königstochter Antigone, die ängstlich
Mit der Sklavinnen Schaar von Thebens Mauern
Niedersieht in das Feld, wo sich der Sieben
Waffenglänzendes Heer zum Sturme nähert.
Also königlich war sie anzuschauen,
Jene Frauengestalt im weißen Schleier,
Und im weißen Gewand und Busentuche;
Nur ein Punkt in der weiten Felsenlandschaft,
Schien sie doch mir die Herrin all des Landes.

Einsmals blickte sie auch zu mir herüber,
Und in düsterer Träume Nebel senkte
Sich die Seele mir ein. Da schlich Cechino,
Mein Begleiter zuweilen durch die Berge,
Sich heraus, und die Schulter mir berührend,
Weckt′ er mich aus dem Traum. »Siehst du hinüber,«
Fragt′ er lachend, »wo auf der hohen Loggia -«
Nein, erwidert′ ich, rasch empor mich hebend,
Eben däuchte mir, daß sich über′m Monte
Artemisio vom Meer her ein Gewitter
Nahen wird, und so laß uns eilig vorher,
Eh′ es kommt, auf die Serpentara wandern.

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Gedicht: Olevano - Viertes Lied von Wilhelm Friedrich Waiblinger

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Olevano – Viertes Lied“ von Wilhelm Friedrich Waiblinger ist eine detailreiche Beschreibung einer Szene in Italien, vermischt mit Reflexionen über Vergangenheit und Gegenwart. Es beginnt mit einer liebevollen Darstellung der Natur und Architektur von Olevano, gefolgt von der Erinnerung an frühere Orte und schließlich der Begegnung mit einer geheimnisvollen Frau.

Der erste Teil des Gedichts, in dem der Autor die Umgebung von Olevano beschreibt, dient als Einführung in die Szenerie und setzt den Rahmen für die spätere Begegnung. Waiblinger zeichnet mit detaillierten Bildern die Landschaft nach, von den Hernikerfelsen bis zu den Weinreben und Früchten auf dem Balkon. Diese detaillierten Naturbeschreibungen, die die Jahreszeit und die Farben der Umgebung akribisch nachzeichnen, schaffen eine Atmosphäre der Ruhe und Schönheit, die als Kontrast zur anschließenden, von Melancholie und inneren Konflikten geprägten Stimmung dient.

Der zweite Teil, in dem die Erinnerung des Dichters an andere Orte im Latium wachgerufen wird, verdeutlicht seine Sehnsucht nach Vergangenheit und Geschichte. Die Erwähnung von Orten wie Albano, Nemi und Frascati, die alle von historischer und kultureller Bedeutung sind, unterstreicht Waiblingers tiefe Verbundenheit mit der italienischen Kultur und Landschaft. Dies dient dazu, die folgende Begegnung mit der Frau auf der Loggia mit einer Aura von Geschichte und Geheimnis zu versehen, da die Frau als Verkörperung einer vergangenen Epoche erscheint.

Die Begegnung mit der Frau auf der Loggia ist der zentrale Moment des Gedichts. Die Beschreibung der Frau in strahlendem Weiß und ihrer königlichen Erscheinung erweckt den Eindruck einer majestätischen Gestalt, die über die Szenerie herrscht. Die Vergleiche mit antiken Figuren wie Andromache und Antigone verleihen ihr eine mythische Qualität, die ihre Anziehungskraft und das Gefühl des Geheimnisvollen verstärkt. Die Beobachtung der Frau und die anschließende Reaktion des Dichters, die von düsteren Träumen geprägt ist, deuten auf eine tiefe emotionale Verbindung und eine Ahnung von Unheil hin.

Das Gedicht endet mit einem plötzlichen Aufwachen aus dem Traum und einer pragmatischen Reaktion auf das aufziehende Gewitter. Die Unterbrechung durch Cechino und die anschließende Flucht auf die Serpentara beenden die romantische Stimmung und kehren zur Realität zurück. Das Gedicht ist eine Reflexion über Schönheit, Erinnerung, Vergänglichkeit und die Verbindung von Natur und menschlicher Erfahrung, wobei die geheimnisvolle Frau als zentrale Figur dient, die diese Themen verkörpert.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.