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Die Landplagen, ein Gedicht in Sechs Büchern

Von

Ode an Ihro Majestät Catharina die Zweite, Kaiserin von Rußland

Die Du weis‘ und gerecht stets in demselben Glanz
Herrschst, Anbethung verschmähst, anbethungswürdig sein
Ohne Lorbeer voll Bluts, thörichte Helden lehrst,
Hin, hinauf zu Dir fleugt mein Lied.

Furchtsam weihet es Dir dieses betränte Bild
Durch der Mitternacht Graun schlängelnder Blizze, Bluts,
Das durch Blumen und Gras rinnt, wie die Quelle rinnt,
Und des Sterbtages der Natur.

Mit des Frühlinges Pracht, mit seinem ersten Schmuk
Kränzt‘ ihr glükliches Haupt, schmükte die stolze Brust
Meine Muse, wenn Dir, wenn auf diß Bild, wenn Dir
Eine göttliche Trän‘ entfiel.

Denn Du hassest den Krieg, hassest den prächtgen Mord,
Winkst dem Hunger zu fliehn, betest zu Gott fürs Land
Und Dein Flehen verscheucht Abbadon, daß das Schwerdt
Aus der bebenden Hand ihm sinkt.

Kann er hart genug einst, Dich uns zu rauben, sein?
Solch ein Lächeln wie Deins sehen und tödten? Traurt,
Bebt sein Innerstes nicht, wenn er ein Bild von Gott,
Catharinen entseelen soll?

Lebe, Mutter der Welt! siehe, der Völker Wohl
Fleht, es fleht Ihr Gebet, still in die Nacht geschluchst:
Lebe! die Du an Huld gleichest der Gottheit, sei
An Unsterblichkeit auch ihr gleich.

Denn ich seh es im Geist, um Deine schwarze Gruft
Drängt ein sprachloser Kreiß; Schluchsen und Seufzen trennt
Die nachhallende Luft, Schluchsen und Heulen tönt
Von dem Belt bis zum schwarzen Meer.

Trostloß raufet der Greis das ihm gebliebne Haar,
Wirft sein heiliges Haar ausgerauft auf Dein Grab:
Dreimal küßt er den Staub der Deine Leiche dekt,
Dreimal weinet er laut und ruft:

„Warum zeugtest du mich, du, der du mich gezeugt?
Warum zeugete ich, du, den ich zeugte, dich?
Daß mein Auge soll sehn, Sohn, daß dein Auge soll
Catharinen erblasset sehn?“

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Landplagen, ein Gedicht in Sechs Büchern von Jakob Michael Reinhold Lenz

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ode an Ihro Majestät Catharina die Zweite, Kaiserin von Rußland“ von Jakob Michael Reinhold Lenz ist ein emphatischer Lobgesang auf die russische Zarin Katharina II., die vom lyrischen Sprecher als Verkörperung von Gerechtigkeit, Friedensliebe und göttlicher Güte verehrt wird. Es verbindet klassische Formen des Herrscherlobs mit einer leidenschaftlich-pathetischen Sprache, die sowohl persönliche Verehrung als auch politische Hoffnung ausdrückt.

Im Zentrum steht das Idealbild einer Monarchin, die ohne blutige Eroberungen regiert, „anbethung verschmähst“ und dennoch „anbethungswürdig“ ist. Lenz stellt Katharina damit bewusst in Gegensatz zu den „thörichten Helden“ mit ihren Lorbeeren, die auf Krieg und Gewalt beruhen. Das Bild einer mütterlichen, friedensstiftenden Herrscherin wird aufgebaut – jemand, der für das Wohl des Volkes betet und der Hunger, Krieg und Zerstörung mit moralischer Autorität vertreibt.

Stilistisch auffällig ist die Mischung aus Vision und Klage. Der Text ist durchzogen von dunklen Bildern – Mitternacht, Blitz, Blut, Sterben – die aber nicht auf die Kaiserin selbst projiziert werden, sondern als Ausdruck der Weltlage erscheinen, in der ihre Gestalt umso heller leuchtet. Die Vorstellung eines zukünftigen Todes Katharinas wird in einer prophetischen Szene inszeniert, in der das ganze Land in Trauer versinkt, von „Schluchsen und Seufzen“ erfüllt. Diese übersteigerte Trauer verleiht dem Gedicht eine fast religiöse Tiefe: Katharina erscheint nicht nur als politische Figur, sondern als Heilsbringerin, als quasi-göttliche Instanz.

Auch der letzte Abschnitt steigert das Pathos ins Existenzielle: Ein Greis und sein Sohn beklagen in biblisch anmutenden Formeln die Sterblichkeit Katharinas und damit den Verlust einer ganzen Weltordnung. Diese Szene unterstreicht nochmals, wie stark der Dichter in der Kaiserin eine überzeitliche Figur sieht, deren Tod nicht nur das Volk, sondern die Ordnung der Welt erschüttern würde.

Insgesamt steht die Ode exemplarisch für den poetischen Stil des Sturm und Drang: überbordende Gefühle, intensive Bildsprache, leidenschaftliches Ringen mit politischen und moralischen Fragen. Lenz verleiht seiner Bewunderung eine Form, die nicht nur huldigt, sondern auch mahnt: Der Friede ist fragil, und nur durch Menschen wie Katharina kann er erhalten bleiben.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.