Das Mondlicht
Dein gedenkend, irr ich einsam
Diesen Strom entlang;
Könnten lauschen wir gemeinsam
Seinem Wellenklang!
Könnten wir zusammen schauen
In den Mond empor,
Der da drüben aus den Auen
Leise taucht hervor!
Freundlich streut er meinem Blicke
Aus dem Silberschein
Stromhinüber eine Brücke
Bis zum stillen Hain. –
Wo des Stromes frohe Wellen
Durch den Schimmer ziehn,
Seh ich, wie hinab die schnellen
Unaufhaltsam fliehn.
Aber wo im schimmerlosen
Dunkel geht die Flut,
Ist sie nur ein dumpfes Tosen,
Das dem Auge ruht.
Dass doch mein Geschick mir brächte
Einen Blick von dir!
Süßes Mondlicht meiner Nächte,
Mädchen, bist du mir!
Wenn nach dir ich oft vergebens
In die Nacht gesehn,
Scheint der dunkle Strom des Lebens
Trauernd still zu stehen;
Wenn du über seinen Wogen
Strahlest zauberhell,
Seh ich sie dahingezogen,
Ach! nur allzuschnell!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Das Mondlicht“ von Nikolaus Lenau thematisiert eine tiefe Sehnsucht nach einer verlorenen oder unerreichbaren Geliebten, die in der Naturbetrachtung, insbesondere im Bild des Mondlichts, ihren Ausdruck findet. Der Fluss, das Mondlicht und die Nachtlandschaft dienen dabei als Spiegel innerer Regungen – Trauer, Einsamkeit und die bittersüße Erinnerung an vergangene Nähe.
Gleich zu Beginn zeigt sich das lyrische Ich als einsam wandernd am Strom entlang – ein klassisches Motiv der romantischen Lyrik. Die Vorstellung, gemeinsam mit der Geliebten dem Wellenklang zu lauschen und in den Mond zu schauen, wird zur unerfüllten Sehnsucht. Der Fluss wird nicht nur landschaftliches Element, sondern zum Symbol der unaufhaltsam verrinnenden Zeit und der Trennung.
Das Mondlicht wirkt wie ein zarter Trostspender in dieser Einsamkeit. Es „streut“ dem Ich eine „Brücke“ aus Silberschein über den Strom – ein schönes, poetisches Bild für Verbindung trotz Entfernung, für Hoffnung in der Dunkelheit. Doch gleichzeitig zeigt der Fluss das Vergängliche: Die Wellen, die durch das Licht gleiten, sind fröhlich und sichtbar, während im Dunkel „nur ein dumpfes Tosen“ bleibt. Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit werden so mit Nähe und Abwesenheit assoziiert.
In der letzten Strophe kulminiert das Gedicht in einer symbolischen Gleichsetzung: Das Mädchen wird selbst zum „süßen Mondlicht“ erklärt. Ihre Anwesenheit hellt den dunklen „Strom des Lebens“ auf, ihre Abwesenheit hingegen bringt ihn zum Stillstand. Damit erhält das Gedicht eine fast mythische Überhöhung der Geliebten – sie wird zum Licht in der Nacht, zur Sinnstifterin im Fluss des Daseins.
„Das Mondlicht“ ist ein typisches Gedicht der Spätromantik: Es verbindet Natursymbolik mit subjektivem Empfinden, mischt zarte Bildlichkeit mit tiefer Melancholie und bringt die existenzielle Spannung zwischen Sehnsucht und Vergänglichkeit auf eine stille, eindrucksvolle Weise zum Ausdruck. Der Mond – ein uraltes Symbol der Romantik – steht hier für die Geliebte selbst: schön, fern, tröstend und zugleich unerreichbar.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.