Über glitzernden Kies
Könnt ich nach Haus –
die Lichte gehen aus –
erlischt ihr letzter Gruß.
Wo soll ich hin?
Oh Mutter mein, weißt du’s?
Auch unser Garten ist gestorben! …
Es liegt ein grauer Nelkenstrauß
im Winkel wo im Elternhaus,
er hatte große Sorgfalt sich erworben.
Umkränzte das Willkommen an den Toren
und gab sich ganz in seiner Farbe aus.
Oh liebe Mutter! …
Versprühte Abendrot
am Morgen weiche Sehnsucht aus
bevor die Welt in Schmach und Not.
Ich habe keine Schwestern mehr und keine Brüder.
Der Winter spielte mit dem Tode in den Nestern
und Reif erstarrte alle Liebeslieder.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Über glitzernden Kies“ von Else Lasker-Schüler spiegelt eine tiefe, melancholische Auseinandersetzung mit Verlust und Trauer wider. In den ersten Zeilen wird die Sehnsucht nach der Heimat und dem „Haus“ zum Ausdruck gebracht. Die Vorstellung, „nach Haus“ zu kommen, wird durch die Zeilen „die Lichte gehen aus“ und „erlischt ihr letzter Gruß“ tragisch begleitet. Diese Bilder suggerieren das Ende von etwas Einzigartigem und das Verblassen eines Lebens, das einst voller Licht und Hoffnung war. Der „letzte Gruß“ weist auf eine endgültige Trennung hin, die im Gedicht durch die Bilder des Verblasens und Erlöschens weiter verstärkt wird.
Der Sprecher wendet sich an die „Mutter“, was sowohl als Ausdruck des persönlichen Verlustes als auch als ein Appell an die verlorene Geborgenheit verstanden werden kann. Das Frage „Wo soll ich hin?“ verdeutlicht die Orientierungslosigkeit und Verlassenheit, die der Sprecher empfindet. Der Verlust des Gartens, der „gestorben“ ist, symbolisiert nicht nur das Ende eines physischen Ortes, sondern auch das Ende einer Welt der Sicherheit und des Wohlstands, die mit der Kindheit und dem familiären Zuhause verbunden sind. Die Bildsprache des Gartens und des „grauen Nelkenstraußes“ im Elternhaus verweist auf den Verfall und die Vergänglichkeit von Dingen, die einst mit Liebe und Fürsorge gepflegt wurden.
Die „große Sorgfalt“ des Nelkenstraußes, der sich „ganz in seiner Farbe“ ausgibt, stellt ein Symbol für das Bemühen dar, etwas inmitten von Verlust und Verfall zu bewahren. Doch auch dieser Versuch wird durch den Tod und das Verblassen von Erinnerungen konterkariert. Das Bild des „Abendrots“, das „Morgen weiche Sehnsucht ausversprüht“, symbolisiert den ständigen Übergang von Hoffnung zu Enttäuschung. Der Winter, der mit dem Tod „in den Nestern spielte“, verstärkt die Vorstellung des kalten, unaufhaltsamen Vergehens der Zeit und der Liebe.
Im letzten Abschnitt des Gedichts wird der endgültige Verlust der Familie durch das Fehlen von „Schwestern“ und „Brüdern“ thematisiert. Der Winter und der „Reif“, der „alle Liebeslieder erstarrte“, verdeutlichen die Kälte und Leere, die der Sprecher nach den Verlusten fühlt. Der Tod wird als ein kaltes und endgültiges Element eingeführt, das auch die „Liebeslieder“ erstarren lässt – eine Metapher für das Ende der emotionalen Wärme und Verbindung. Insgesamt vermittelt das Gedicht eine tiefgreifende Trauer über den Verlust von Familie, Geborgenheit und der Welt, wie sie einst war.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.