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Zwischenreich

Von

Meine ausgelaßne Kleine,
Ach, ich kenne sie nicht mehr;
Nur mit Tanten und Pastoren
Hat das liebe Herz Verkehr.

Jene süße Himmelsdemut,
Die der Sünder Hoffart schilt,
Hat das ganze Schelmenantlitz
Wie mit grauem Flor verhüllt.

Ja, die brennend roten Lippen
Predigen Entsagung euch;
Diese gar zu schwarzen Augen
Schmachten nach dem Himmelreich.

Auf die Tiziansche Venus
Ist ein Heil′genbild gemalt;
Ach, ich kenne sie nicht wieder,
Die so schön mit uns gedahlt.

Nirgends mehr für blaue Märchen
Ist ein einzig Plätzchen leer;
Nur Traktätlein und Asketen
Liegen haufenweis umher.

Wahrlich, zum Verzweifeln wär es –
Aber, Schatz, wir wissen schon,
Deinen ganzen Götzenplunder
Wirft ein einz′ger Mann vom Thron.

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Gedicht: Zwischenreich von Theodor Storm

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Zwischenreich“ von Theodor Storm beschreibt die Entfremdung des lyrischen Ichs von seiner einstigen Geliebten. Die Verse zeichnen das Bild einer Frau, die sich von einer lebensfrohen, sinnlichen Natur hin zu einer scheinbar frommen und asketischen Lebensweise gewandelt hat. Der Titel „Zwischenreich“ deutet auf einen Zustand der Übergangszeit, des Zwischenraums hin, in dem sich die Frau befindet – ein Zwischenbereich zwischen weltlicher Freude und himmlischer Askese. Die Melancholie des lyrischen Ichs spiegelt sich in der Beschreibung wider, die von Sehnsucht nach der verlorenen Vertrautheit geprägt ist.

Die ersten beiden Strophen etablieren den Kontrast zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die „ausgelaßne Kleine“, die das lyrische Ich einst kannte und liebte, ist ihm nun fremd geworden. Ihre Kontakte beschränken sich auf Tanten und Pastoren, was auf eine Konzentration auf religiöse Kreise und eine Abkehr von weltlichen Freuden hindeutet. Die „süße Himmelsdemut“ und der „graue Flor“, der ihr Antlitz verhüllt, unterstreichen diese Veränderung. Diese Metaphern vermitteln den Eindruck einer erzwungenen Frömmigkeit, die die natürliche Lebendigkeit der Frau verdrängt hat.

In den folgenden Strophen wird diese Veränderung weiter vertieft. Die „brennend roten Lippen“ predigen nun Entsagung, während die „schwarzen Augen“ nach dem Himmelreich schmachten. Hier wird ein Konflikt zwischen äußerer Erscheinung und innerem Verlangen angedeutet. Die Metapher von der „Tizianschen Venus“, auf die ein Heiligenbild gemalt wurde, ist besonders aussagekräftig. Sie symbolisiert die Verdrängung der sinnlichen, weltlichen Schönheit durch eine religiöse Überlagerung. Die frühere „Schönheit“ wird als ein Mensch dargestellt, der sich früher mit dem lyrischen Ich austauschte und der sich jetzt radikal verändert hat.

Die abschließende Strophe bietet einen Hoffnungsschimmer. Die Verzweiflung des lyrischen Ichs wird durch die Gewissheit relativiert, dass ein Mann, der er selbst ist, in der Lage ist, all den „Götzenplunder“ – die scheinheilige Frömmigkeit – zu beseitigen und die wahre Natur der Geliebten freizulegen. Diese Zeilen offenbaren die Sehnsucht nach einer Rückkehr zum ursprünglichen Zustand und die Überzeugung, dass die Liebe des lyrischen Ichs stark genug ist, um die veränderte äußere Fassade zu durchbrechen. Das Gedicht endet mit einem Funken Hoffnung, dass die Beziehung gerettet werden kann, obwohl die Vergangenheit von Verlust und Entfremdung geprägt ist.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.