Sinnenrausch
Dein sünd’ger Mund ist meine Totengruft,
betäubend ist sein süßer Atemduft,
Denn meine Tugenden entschliefen.
Ich trinke sinnberauscht aus seiner Quelle
und sinke willenlos in ihre Tiefen,
verklärten Blickes in die Hölle.
Mein heißer Leib erglüht in seinem Hauch,
er zittert, wie ein junger Rosenstrauch,
geküsst vom warmen Maienregen.
– Ich folge dir ins wilde Land der Sünde
und pflücke Feuerlilien auf den Wegen,
– wenn ich die Heimat auch nicht wiederfinde…
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Sinnenrausch“ von Else Lasker-Schüler ist eine leidenschaftliche und verführerische Darstellung der Hinwendung zur Sünde und des Verlusts von Selbstkontrolle im Angesicht der Liebe oder Begierde. Die Dichterin beschreibt den „sünd’gen Mund“ des Geliebten als eine „Totengruft“, ein Bild, das die gleichzeitige Faszination und Gefahr dieser Liebe symbolisiert. Der Mund wird zu einem Ort des Verfalls und des Todes, doch zugleich ist er „betäubend“ und „süß“, was die ambivalente Natur der Leidenschaft betont – sie ist sowohl verlockend als auch zerstörerisch.
Die Phrase „meine Tugenden entschliefen“ zeigt, dass die Sprecherin sich von ihren eigenen moralischen Werten und Selbstkontrollen entfernt. Die „Tugenden“, die ihr Halt und Orientierung gegeben haben, sind in diesem Zustand des „Sinnenrausches“ inaktiv oder verschwunden. Sie ist „sinnberauscht“ und folgt der Verlockung des Geliebten, was den Verlust der Kontrolle über ihre eigenen Entscheidungen und den Verfall ihrer früheren Selbstbestimmung verdeutlicht. Diese Hingabe an die Leidenschaft führt sie schließlich „willenlos“ in die Tiefen der „verklärten“ Hölle, was auf das paradoxale Gefühl hinweist, dass die Begierde zwar zu einem Zustand der Verzückung führt, aber gleichzeitig auch den Fall in moralische Dunkelheit und Verfehlung.
Das Bild des „heißen Leibs“, der „erglüht“ und „zittert“, stellt den körperlichen Höhepunkt der Leidenschaft dar, der die Sprecherin zu einem Zustand der völligen Hingabe an den Geliebten führt. Der Vergleich mit einem „jungen Rosenstrauch“, der „geküsst vom warmen Maienregen“ ist ein sinnliches Bild, das die Zartheit und Frische der beginnenden Leidenschaft betont, aber auch die Vergänglichkeit und Verletzlichkeit der Liebe thematisiert. Es ist eine Liebe, die sich in der Natur erneuert, aber zugleich immer dem Verfall ausgesetzt ist.
Am Ende des Gedichts folgt die Sprecherin „ins wilde Land der Sünde“, was die völlige Aufgabe jeglicher moralischer Schranken symbolisiert. Sie pflückt „Feuerlilien“, ein Symbol für gefährliche, aber wunderschöne Verlockungen. Das Bild, dass sie die „Heimat“ nicht wiederfindet, verstärkt die Vorstellung, dass diese Reise in die Sünde nicht nur eine Flucht vor ihrer eigenen Tugend ist, sondern auch eine Entfremdung von sich selbst und ihrer Herkunft. Das Gedicht endet mit einem Gefühl der Verlorenheit und der Unwiderruflichkeit des Weges, den sie eingeschlagen hat. Es ist eine Darstellung der gefährlichen Schönheit der Leidenschaft und der Sünde, die gleichzeitig verlockend und zerstörerisch ist.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.