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Orgie

Von

Der Abend küsste geheimnisvoll
die knospenden Oleander.
Wir spielten und bauten Tempel Apoll
und taumelten sehnsuchtsvoll
ineinander.
Und der Nachthimmel goss seinen schwarzen Duft
in die schwellenden Wellen der brütenden Luft,
und Jahrhunderte sanken
und reckten sich
und reihten sich wieder golden empor
zu sternenverschmiedeten Ranken.
Wir spielten mit dem glücklichsten Glück,
mit den Früchten des Paradiesmai,
und im wilden Gold Deines wirren Haars
sang meine tiefe Sehnsucht
Geschrei,
wie ein schwarzer Urwaldvogel.
Und junge Himmel fielen herab,
unersehnbare, wildsüße Düfte;
wir rissen uns die Hüllen ab
und schrieen!
Berauscht vom Most der Lüfte.
Ich knüpfte mich an Dein Leben an,
bis dass es ganz in ihm zerrann,
und immer wieder Gestalt nahm
und immer wieder zerrann.
Und unsere Liebe jauchzte Gesang,
zwei wilde Symphonieen!

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Gedicht: Orgie von Else Lasker-Schüler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Orgie“ von Else Lasker-Schüler beschreibt in ekstatischer, bildgewaltiger Sprache eine leidenschaftliche Liebesbegegnung, die über das rein Körperliche hinausgeht und zu einer kosmischen, mystisch aufgeladenen Erfahrung wird. Die Szenen des Gedichts sind durchtränkt von einem Rausch der Sinne und einer intensiven emotionalen Verschmelzung zweier Liebender, die sich der Welt entziehen und in einem fast sakralen Akt vereinen.

Schon der Beginn mit dem „Abend“, der „geheimnisvoll“ die Natur küsst, bereitet eine Atmosphäre des Verborgenen und Magischen. Der Verweis auf Apoll, den Gott der Künste, Licht und Ekstase, zeigt, dass das Spiel der Liebenden nicht nur ein körperliches ist, sondern auch ein schöpferischer, fast religiöser Akt. Die Natur selbst – „Oleander“, „Nachthimmel“, „brütende Luft“ – wird zum Spiegel innerer Zustände, in denen Zeit und Raum aufgehoben scheinen: „Jahrhunderte sanken und reckten sich“.

Die Sprache ist durchzogen von Synästhesien und üppigen Metaphern: Düfte werden „gegossen“, Haare sind „wildes Gold“, und die Sehnsucht wird zum „Geschrei“ eines „schwarzen Urwaldvogels“. Diese wilden, fast surrealen Bilder betonen die Unkontrollierbarkeit und Tiefe der Gefühle. Die Liebe wird als ekstatische, eruptive Kraft dargestellt, die Körper und Geist gleichermaßen durchdringt und dabei jegliche Grenzen überschreitet.

In den Zeilen „wir rissen uns die Hüllen ab / und schrieen!“ kulminiert die ekstatische Entfesselung der Leidenschaft. Der Ausdruck ist roh, unmittelbar, beinahe orgiastisch, was dem Gedicht seinen Titel verleiht. Doch es bleibt nicht bei der bloßen Explosion der Sinne – vielmehr beschreibt die Dichterin auch die spirituelle Dimension dieser Vereinigung: Das Ich „knüpft“ sich an das Leben des Anderen, „zerrann“ in ihm und nahm doch „immer wieder Gestalt“. Diese bildhafte Auflösung des Selbst verweist auf die absolute Hingabe und das Sich-Auflösen in der Liebe.

Am Ende wird diese Liebe selbst zur Musik – „zwei wilde Symphonieen“ –, was den schöpferischen, fast überirdischen Charakter der beschriebenen Erfahrung unterstreicht. Das Gedicht ist ein hymnisches Lob auf die Liebe als rauschhafte, schöpferische, zerstörerische und transzendente Kraft, die alles Irdische übersteigt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.