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Sonnenaufgang in Venedig

Von

Erwachende Glocken. – In allen Kanälen  Flackt erst ein Schimmer, noch zitternd und matt,  Und aus dem träumenden Dunkel schälen  Sich schleiernd die Linien der ewigen Stadt.
Sanft füllt sich der Himmel mit Farben und Klängen,  Fernsilbern sind die Lagunen erhellt. – Die Glöckner läuten mit brennenden Strängen,  Als rissen sie selbst den Tag in die Welt.
Und nun das erste flutende Dämmern!  Wie Flaum von schwebenden Wolken rollt,  Spannt sich von Turm zu Türmen das Hämmern  Der Glocken, ein Netz von bebendem Gold.
Und schneller und heller. Ganz ungeheuer  Bläht sich das Dämmern. – Da bauscht es und birst,  Und Sonne stürzt wie fressendes Feuer  Gierig sich weiter von First zu First.
Der Morgen taut nieder in goldenen Flocken,  Und alle Dächer sind Glorie und Glast.  Und nun erst halten die ruhlosen Glocken  Auf ihren strahlenden Türmen Rast.

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Gedicht: Sonnenaufgang in Venedig von Stefan Zweig

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Sonnenaufgang in Venedig“ von Stefan Zweig beschreibt in eindrucksvollen Bildern den Moment des Morgens in der italienischen Stadt. Das Gedicht beginnt mit einer Beschreibung des noch schummrigen Zustands, in dem sich die Stadt in einem „träumenden Dunkel“ befindet und sich erst langsam die „Linien der ewigen Stadt“ zeigen. Die frühen Glocken, die das Erwachen ankündigen, spielen eine zentrale Rolle und werden als Wegbereiter des Tageslichts dargestellt.

Im zweiten Teil des Gedichts verstärkt sich die Intensität der Beschreibung. Der Himmel füllt sich mit Farben und Klängen, und die Lagunen werden silbern erhellt. Die Glocken läuten „mit brennenden Strängen“, was die Energie und den Nachdruck, mit dem der Tag aus dem Dunkel gerissen wird, verdeutlicht. Hier wird der Tag als etwas Lebendiges dargestellt, das mit Gewalt und Freude in die Welt geboren wird. Das Zusammenspiel von Farben, Klängen und Licht bildet eine atmosphärische, sinnliche Erfahrung.

Die dritte und vierte Strophe konzentrieren sich auf das sich ausbreitende Licht und die Dynamik des Sonnenaufgangs. Das „flutende Dämmern“ breitet sich aus, wie eine Welle, die alles mit sich reißt. Die Metapher des „Netzes von bebendem Gold“ für die Glocken, die sich von Turm zu Turm spannen, unterstreicht die Schönheit und die allumfassende Wirkung des Lichts. Der Höhepunkt wird durch die „Sonne [die] stürzt wie fressendes Feuer“ erreicht, was die unbändige Kraft und die rasche Ausbreitung des Sonnenlichts betont. Die Sonne wird hier als etwas Aktives und Aggressives dargestellt, das die Welt erobert.

In der abschließenden Strophe beruhigt sich die Szenerie. Der Morgen ist vollendet, und die Welt wird von goldenen „Flocken“ des Lichtes bedeckt. Die Glocken, die zuvor als so dynamisch dargestellt wurden, finden nun ihre „Rast“. Dies signalisiert das Ende der Aufbruchstimmung und den Beginn eines neuen Tages, der von Schönheit und Licht geprägt ist. Das Gedicht fängt somit den Kreislauf des Erwachens und der Ruhe ein und feiert die Pracht der Natur und der venezianischen Architektur.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.