Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, ,

Giselheer, dem Tiger

Von

Über dein Gesicht schleichen die Dschungeln.
O, wie du bist!

Deine Tigeraugen sind süß geworden
in der Sonne.

Ich trag dich immer herum
zwischen meinen Zähnen.

Du mein Indianerbuch,
Wild West,
Siouxhäuptling!

Im Zwielicht schmachte ich
gebunden am Buxbaumstamm –

Ich kann nicht mehr sein
ohne das Skalpspiel.

Rote Küsse malen deine Messer
auf meine Brust –
bis mein Haar an deinem Gürtel flattert.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Giselheer, dem Tiger von Else Lasker-Schüler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Giselheer, dem Tiger“ von Else Lasker-Schüler ist eine leidenschaftliche und symbolisch aufgeladene Darstellung von Liebe und Begierde, die sich in einem exotischen, nahezu archaischen Kontext entfaltet. Die erste Strophe beschreibt den lyrischen Sprecher, der von den „Dschungeln“ des Gesichts seines Gegenübers verfolgt wird, was die Wildheit und Ungebändigkeit der Leidenschaft zum Ausdruck bringt. Das Bild der „Tigeraugen“ verleiht dem Gedicht eine gewisse Gefahr und gleichzeitig Faszination, was die Ambivalenz zwischen Anziehung und Bedrohung widerspiegelt.

Die zweite Strophe intensiviert die metaphorische Beziehung zwischen dem Sprecher und dem „Tiger“: Die „Tigeraugen“ sind „süß geworden in der Sonne“, was auf eine Verklärung und ein Eintauchen in das Licht der Begierde hinweist. Die Zeile „Ich trag dich immer herum / zwischen meinen Zähnen“ verstärkt das Bild des Besitzes und der körperlichen Nähe, jedoch auch eine Art der Gefährdung, als ob der Sprecher ständig zwischen Zärtlichkeit und dem Verlangen nach Kontrolle schwankt.

Der Bezug auf das „Indianerbuch“ und den „Siouxhäuptling“ bringt ein weiteres, kulturelles Element ins Spiel, das das Gedicht mit einer exotischen, fast wilderen Welt verbindet. Dies unterstreicht das Spiel mit der Vorstellung von Macht, Eroberung und der Überschreitung gesellschaftlicher Normen. Der „Buxbaumstamm“ und das „Skalpspiel“ beziehen sich auf eine gewaltsame, fast rituelle Darstellung der Liebe, bei der das körperliche und seelische Aufeinandertreffen fast schon blutige Konsequenzen zu haben scheint.

Die letzten Zeilen – „Rote Küsse malen deine Messer / auf meine Brust“ – setzen die gewaltsame, aber gleichzeitig intime und sinnliche Atmosphäre fort. Die „roten Küsse“ als Bild für blutige Zärtlichkeit sowie das „Haar an deinem Gürtel“ symbolisieren eine Verschmelzung von körperlicher Eroberung und Hingabe. Das Gedicht endet in einem Bild, das sowohl das Erlebte als auch das Verlangen nach mehr in einem fast barbarischen, aber tiefgehenden emotionalen Zustand vereint.

Else Lasker-Schüler schafft mit „Giselheer, dem Tiger“ eine komplexe, dramatische Darstellung von Liebe und Gewalt, in der die Grenzen zwischen Zärtlichkeit und Gefahr, zwischen Eroberung und Hingabe verschwimmen. Es ist ein Gedicht, das die Wildheit und die intensiven Gefühle der menschlichen Erfahrung in eine symbolische Sprache übersetzt, die den Leser sowohl anzieht als auch verstört.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.