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An Gott

Von

Du wehrst den guten und den bösen Sternen nicht;
all ihre Launen strömen.
In meiner Stirne schmerzt die Furche,
die tiefe Krone mit dem düsteren Licht.

Und meine Welt ist still –
du wehrtest meiner Laune nicht.
Gott, wo bist du?

Ich möchte nah an deinem Herzen lauschen,
mit deiner fernsten Nähe mich vertauschen,
wenn goldverklärt in deinem Reich
aus tausendseligem Licht
alle die guten und bösen Brunnen rauschen.

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Gedicht: An Gott von Else Lasker-Schüler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An Gott“ von Else Lasker-Schüler ist ein existenzielles Zwiegespräch mit einer abwesend wirkenden, aber zugleich ersehnten göttlichen Instanz. Es vereint Klage, Sehnsucht und spirituelle Intimität in einer eindrucksvoll konzentrierten Sprache. Die Dichterin bringt darin ihre tiefe Unruhe und das Verlangen nach Nähe zu Gott zum Ausdruck, ohne dabei auf einfache Antworten oder Trost zu hoffen.

Bereits der erste Vers offenbart eine zentrale Erfahrung von Ausgeliefertsein: Gott „wehrt den guten und den bösen Sternen nicht“. Das bedeutet, dass das Schicksal in all seiner Willkür ungehindert auf das Leben des lyrischen Ichs einwirkt – ohne göttliche Lenkung oder Schutz. Die „Stirnfurche“, beschrieben als „tiefe Krone mit dem düsteren Licht“, verweist sowohl auf Leid als auch auf eine besondere Berufung oder Würde, die aus Schmerz erwächst. Es ist eine Art stilles Königtum des Leidens, das aber keine Erhöhung bietet.

Die Welt des lyrischen Ichs ist „still“ – eine Stille, die nicht Frieden meint, sondern Leere und Gottesferne. Die Wiederholung der Anklage, dass Gott selbst der „Laune“ des Ichs nichts entgegensetzt, unterstreicht das Gefühl von Isolation. Der Ausruf „Gott, wo bist du?“ ist dabei nicht nur Ausdruck der Verzweiflung, sondern auch der hartnäckigen Sehnsucht nach einem Dialog mit dem Göttlichen – ein Ruf in die Leere, der auf Antwort hofft, auch wenn sie ausbleibt.

Im letzten Teil des Gedichts wendet sich der Ton von der Anklage zur Bitte. Das lyrische Ich sehnt sich nach Verschmelzung mit der göttlichen Sphäre, möchte „nah an deinem Herzen lauschen“ und sich „mit deiner fernsten Nähe vertauschen“. Diese paradoxen Formulierungen – Nähe und Ferne zugleich – bringen das zentrale Spannungsfeld des Gedichts auf den Punkt: die tiefe Sehnsucht nach einer Verbindung mit Gott, die aber stets im Ungewissen bleibt.

Der abschließende Klang von „goldverklärtem“ Licht und „guten und bösen Brunnen“, die in Gottes Reich rauschen, deutet eine Vision von Ganzheit an, in der Gegensätze aufgehoben sind. Gut und Böse, Nähe und Ferne, Licht und Dunkel: Alles fließt zusammen in einem überweltlichen, möglicherweise versöhnten Raum. Doch ob das lyrische Ich je dorthin gelangt, bleibt offen. So ist „An Gott“ ein intensives Gebet zwischen Zweifel und Hoffnung, das Gott nicht als klare Antwortinstanz, sondern als unfassbare Größe erfahrbar macht – eine ferne Gegenwart, die dennoch im Herzen gesucht wird.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.