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Rose im Oktober

Von

Die Hacke schweigt.
Am Waldrand steigt
mit hellem Ton
ein Sagenross
aus Avalon.
Was ist’s? Der Herbst verschoss
in seinem Kupferschloss
die sanfte Munition.

Die Eichel fällt
und fallend, schellt
entzwei am Grund
(o leichte Schlacht!)
in Pfeifchen und
Granate, nun gib acht,
wie Tag sich trennt und Nacht,
Frucht, Schale, Hauch und Mund.

Es knallt, es pocht,
und brausend, kocht
ein fernes Tal
der Beere Sud
und Mark zumal,
wie es ein Kessel tut,
wenn Windes Liebeswut
entfaltet sein Fanal.

Die Flamme singt.
Es überspringt
den eignen Ort
ihr zarter Laut
und zeugt sich fort.
Die Luft, wie aufgeraut,
gibt Echo ihm und baut
vielblättrig Wort um Wort.

Tief im Azur
– Kondwiramur
und Gral zugleich –
trägt, Rot in Blau,
nicht Geist, noch Fleisch,
die Rose ihren Bau
hoch über Feld und Au
ein in das Ätherreich.

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Gedicht: Rose im Oktober von Elisabeth Langgässer

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Rose im Oktober“ von Elisabeth Langgässer verbindet herbstliche Naturbeobachtung mit mythischer Symbolik und spiritueller Tiefe. In einer dichten, klangvollen Sprache wird der Herbst nicht nur als Zeit des Verfalls dargestellt, sondern als geheimnisvoll aufgeladener Übergang, in dem Natur, Mythos und Poesie sich zu einem höheren Ganzen verweben. Die Rose erscheint hier als zentrale Chiffre für Schönheit, Verwandlung und geistige Erhebung.

Gleich zu Beginn herrscht eine fast feierliche Stille: Die Hacke – Symbol der Arbeit, des Alltags – schweigt, und an ihre Stelle tritt das Sagenhafte. Mit dem „Sagenross aus Avalon“ öffnet sich eine mythische Dimension, die an die Artuslegende erinnert. Die poetische Welt entfernt sich von der sichtbaren Realität und betritt eine Zone des Übergangs, in der der Herbst nicht als bloßer Jahreszeitenwechsel, sondern als geistige Schwelle erfahrbar wird. Die „sanfte Munition“ des Herbstes – Eicheln, Beeren, Laub – ersetzt Krieg durch Reife und Wandlung.

Der Fall der Eichel wird zum Symbol der Transformation: Aus der Frucht wird im Sturz ein duales Element – Pfeife und Granate –, Natur und Gefahr, Klang und Zerstörung. Die Naturvorgänge werden poetisch überhöht: Das Gären der Beeren, das Kochen im Tal, die stürmische Bewegung des Windes werden als leidenschaftliche Liebeshandlung des Herbstes gedeutet, in der Natur sich selbst feiert und zugleich vergeht.

In den folgenden Strophen weitet sich der Fokus auf das Poetische selbst: Die Flamme – möglicherweise eine Metapher für Inspiration oder Seele – erzeugt einen Laut, der sich verselbstständigt und „vielblättrig“ in Sprache auflöst. Dieses Motiv erinnert an die Schöpfungskraft der Dichtung: Aus einem einzelnen Impuls wird ein komplexes Gebilde – wie die Rose, deren Blätter sich entfalten. Die Luft, als Trägerin dieses Lautes, wird selbst zum Medium poetischer Entfaltung.

Die letzte Strophe führt das Gedicht zu einer metaphysischen Höhe: „Kondwiramur“ – eine Frauengestalt aus dem Parzival-Epos – und der „Gral“ erscheinen als Symbol für göttliche Liebe und Erkenntnis. Die Rose, in Rot und Blau (Farben der Liebe und des Geistigen), wird hier zur reinen Idee, zum geistigen Bauwerk, das sich vom Irdischen löst. Sie steht nicht mehr für Körper oder Geist allein, sondern für ein transzendentes Prinzip. Langgässer schließt damit eine Entwicklung ab, in der der herbstliche Naturraum zur Bühne einer spirituellen Transformation wird – ein Aufstieg von der reifenden Frucht bis zur vergeistigten Rose im Äther.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.