Winter
Es treiben grosse Flocken dicht und schräg –
Der Wald hält still, die Zweige hängen träg.
Der Wind, der um die Wipfel wehte, schweigt.
Die Kronen haben langsam sich geneigt.
Um eine hohe Tanne rieselt kalt
Der Schnee: Mein Haupt wie Eis! Bin ich schon alt?
Durch hundert Jahre ist es nicht so weit –
Ich steh schon immer in der Ewigkeit.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Winter“ von Hedwig Lachmann vermittelt eine Atmosphäre der Stille, der Vergänglichkeit und der Selbstreflexion. Zu Beginn beschreibt die Sprecherin den herabfallenden Schnee, der in „großen Flocken dicht und schräg“ vom Himmel kommt. Der „stille“ Wald und die träge hängenden Zweige der Bäume unterstreichen die erdrückende Ruhe und die Starre der winterlichen Landschaft. Der „Wind, der um die Wipfel wehte“, schweigt, was die Zeit einfriert und das Bild einer Welt ohne Bewegung und Veränderung erzeugt. Diese unendliche Stille spiegelt das Gefühl der Erstarrung und des Wartens wider.
In der zweiten Strophe wird die Bewegung der Bäume beschrieben, deren „Kronen langsam sich neigten“. Diese allmähliche Bewegung der Bäume könnte als Bild für den langsamen Prozess des Alterns oder der Veränderung interpretiert werden. Während der Natur ihre langsamen Zyklen durchläuft, bleibt der Mensch jedoch in einer stillen, fast statischen Welt gefangen. Die Szene vermittelt die Unaufhaltsamkeit des Wandels, während der Winter die äußere und innere Landschaft gleichsam in eine tiefe Ruhe versetzt.
Das Bild der „hohen Tanne“, um die der Schnee rieselt, wird zu einer Metapher für das Alter der Sprecherin. Ihr Kopf, der sich mit Schnee bedeckt, wird zu einem Symbol für den Lebensprozess, der von den Jahren geprägt ist. Die Frage „Bin ich schon alt?“ ist dabei nicht nur eine Rückschau auf das eigene Alter, sondern auch eine Reflexion über die Vergänglichkeit des Lebens. Sie fühlt sich von der Zeit eingeholt, was die metaphorische Kälte des Schnees auf ihrem Kopf noch verstärkt.
In der letzten Strophe wird die Zeit zur zentralen Frage. Die Sprecherin stellt fest, dass „hundert Jahre“ keine große Distanz mehr darstellen und sie sich in einer Art „Ewigkeit“ befindet. Dies kann als Ausdruck einer existenziellen Erkenntnis verstanden werden: Inmitten des Lebens fühlt sie sich bereits von der Zeit überholt und hat das Gefühl, als stünde sie „immer schon“ in einem Zustand der Ewigkeit, einer Zeit, die still und unveränderlich bleibt. Lachmann beschreibt hier eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Alter, der Vergänglichkeit und der Frage nach der relativen Bedeutung des eigenen Lebens im Angesicht der Unendlichkeit.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.