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Josuas Landtag

Von

So wie der Strom am Ausgang seine Dämme
durchbricht mit seiner Mündung Übermaß,
so brach nun durch die Ältesten der Stämme
zum letztenmal die Stimme Josuas.

Wie waren die geschlagen, welche lachten,
wie hielten alle Herz und Hände an,
als hübe sich der Lärm von dreißig Schlachten
in einem Mund; und dieser Mund begann.

Und wieder waren Tausende voll Staunen
wie an dem großen Tag vor Jericho,
nun aber waren in ihm die Posaunen,
und ihres Lebens Mauern schwankten so,

daß sie sich wälzten, von Entsetzen trächtig
und wehrlos schon und überwältigt, eh
sie′s noch gedachten, wie er eigenmächtig
zu Gibeon die Sonne anschrie: Steh!

Und Gott ging hin, erschrocken wie ein Knecht,
und hielt die Sonne, bis ihm seine Hände
wehtaten, ob dem schlachtenden Geschlecht,
nur weil da einer wollte, daß sie stände.

Und das war dieser; dieser Alte wars,
von dem sie meinten, daß er nicht mehr gelte
inmitten seines hundertzehnten Jahrs.
Da stand er auf und brach in ihre Zelte.

Er ging wie Hagel nieder über Halmen.
Was wollt ihr Gott versprechen? Ungezählt
stehn um euch Götter, wartend, daß ihr wählt.
Doch wenn ihr wählt, wird euch der HErr zermalmen.

Und dann, mit einem Hochmut ohnegleichen:
Ich und mein Haus, wir bleiben ihm vermählt.

Da schrien sie alle: Hilf uns, gib ein Zeichen
und stärke uns zu unsrer schweren Wahl.

Aber sie sahn ihn, wie seit Jahren schweigend,
zu seiner festen Stadt am Berge steigend;
und dann nicht mehr. Es war das letzte Mal.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Josuas Landtag von Rainer Maria Rilke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Josuas Landtag“ von Rainer Maria Rilke beschreibt eine eindringliche Szene aus dem Alten Testament, in der Josua, der Anführer der Israeliten, seine Stammesältesten vor eine wichtige Entscheidung stellt. Das Gedicht ist inhaltlich wie sprachlich komplex und vermittelt eine Botschaft von Glauben, Entscheidung und dem Mut, seinen eigenen Weg zu gehen, selbst in schwierigen Zeiten. Die Metaphern und Bilder, die Rilke verwendet, sind von großer Kraft und erzeugen eine Atmosphäre der Spannung und des Erhabenen.

Das Gedicht beginnt mit einer eindrucksvollen Beschreibung von Josuas Rede, die als „letztes Mal“ beschrieben wird. Rilke vergleicht Josuas Stimme mit einem Fluss, der seine Dämme durchbricht, was die Kraft und das Gewicht seiner Worte unterstreicht. Die geschlagenen, die lachten – alle halten inne, als Josua beginnt. Dieser Moment der Stille und des Innehaltens deutet auf die Bedeutung der Entscheidung hin, die unmittelbar bevorsteht. Die Erinnerung an frühere Wunder, wie die Eroberung Jerichos, wird heraufbeschworen, wodurch eine religiöse Atmosphäre geschaffen und die Bedeutung der bevorstehenden Entscheidung noch verstärkt wird.

Der zentrale Teil des Gedichts thematisiert die Entscheidung für oder gegen Gott. Josua stellt seine Stammesältesten vor die Frage nach dem Glauben, indem er sie auf die „Götter“ aufmerksam macht, die auf ihre Wahl warten. Dies ist der Moment der Entscheidung: Entweder die Israeliten folgen dem Gott, der sie aus Ägypten geführt hat, oder sie wenden sich anderen Göttern zu. Die Warnung, dass der Herr sie „zermalmen“ wird, wenn sie die falsche Wahl treffen, verdeutlicht die existenzielle Tragweite dieser Entscheidung. Der Höhepunkt ist Josuas persönliches Bekenntnis: „Ich und mein Haus, wir bleiben ihm vermählt“. Dieses Bekenntnis des unerschütterlichen Glaubens bildet den Kern des Gedichts.

Die abschließenden Verse zeigen die Reaktion der Stammesältesten und Josuas Reaktion. Sie bitten um ein Zeichen, um ihre Entscheidung zu erleichtern, doch Josua reagiert nicht. Er zieht sich zurück, steigt in seine „feste Stadt am Berge“ und verschwindet. Das Ende ist offen, lässt den Leser mit dem Gefühl der Entscheidung und der Konsequenzen zurück, die daraus erwachsen. Die Verwendung von Bildern wie „Hagel“ und „Berg“ verleiht dem Gedicht eine epische Qualität und unterstreicht die Erhabenheit des Themas.

Insgesamt ist „Josuas Landtag“ ein kraftvolles Gedicht über Glauben, Entscheidung und die Verantwortung des Einzelnen. Rilkes eindringliche Bilder und seine sprachliche Gestaltung erzeugen eine Atmosphäre der Spannung und des Ernstes, die den Leser dazu anregt, über die eigene Beziehung zum Glauben und die Konsequenzen von Entscheidungen nachzudenken. Die Bedeutung des Gedichts liegt in seiner zeitlosen Botschaft des Muts, seinen eigenen Weg zu gehen, selbst wenn dies bedeutet, sich gegen die Mehrheit zu stellen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.