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Du im Voraus verlorne Geliebte

Von

Du im Voraus
verlorne Geliebte, Nimmergekommene,
nicht weiß ich, welche Töne dir lieb sind.
Nicht mehr versuch ich, dich, wenn das Kommende wogt,
zu erkennen. Alle die großen
Bilder in mir, im fernen erfahrene Landschaft,
Städte und Türme und Brücken und un-
vermutete Wendung der Wege
und das gewaltige jener von Göttern
einst durchwachsenen Länder:
steigt zur Bedeutung in mir
deiner, Entgehende, an.

Ach, die Gärten bist du,
ach, ich sah sie mit solcher
Hoffnung. Ein offenes Fenster
im Landhaus -, und du tratest beinahe
mir nachdenklich heran. Gassen fand ich, –
du warst sie gerade gegangen,
und die Spiegel manchmal der Läden der Händler
waren noch schwindlich von dir und gaben erschrocken
mein zu plötzliches Bild. – Wer weiß, ob derselbe
Vogel nicht hinklang durch uns
gestern, einzeln, im Abend?

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Gedicht: Du im Voraus verlorne Geliebte von Rainer Maria Rilke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Du im Voraus verlorne Geliebte“ von Rainer Maria Rilke ist eine ergreifende Auseinandersetzung mit der Sehnsucht nach einer unerreichbaren Liebe. Es ist ein Lied auf die Abwesenheit, auf das Ideal, das sich der Greifbarkeit entzieht. Der Titel deutet bereits die Tragik an: Die Geliebte ist bereits verloren, bevor sie überhaupt gefunden wurde, sie ist „Nimmergekommene“. Dies schafft eine Atmosphäre der Melancholie und der unstillbaren Sehnsucht, die das gesamte Gedicht durchzieht. Die Verse beschreiben eine Suche, die von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, da die gesuchte Person eine Projektion des eigenen Wunsches, ein Idealbild, ist.

Rilke nutzt eine Fülle von Bildern und Metaphern, um die Unerreichbarkeit der Geliebten zu verdeutlichen. Die „großen Bilder“ in ihm – Landschaften, Städte, Brücken – steigen zu einer Bedeutung auf, die sich der „Entgehenden“ zuordnen lässt. Die Geliebte wird zu einer Chiffre für die Sehnsucht nach Vollkommenheit, nach einem Ideal, das in der Realität nicht existieren kann. Die „Gärten“ stehen für das Paradiesische, für eine Idylle, die sich als trügerisch erweist. Das „offene Fenster im Landhaus“ und die „Gassen“, die sie gerade verlassen hat, erzeugen eine Atmosphäre der Knappheit und des Verpassens. Die Spiegel der Läden, die „noch schwindlich“ von ihr sind, verstärken dieses Gefühl, indem sie ein flüchtiges, verstörendes Bild des Sprechers widergeben.

Die Verwendung des Wortes „beinahe“ in Bezug auf das Erscheinen der Geliebten im Landhaus verdeutlicht die ständige Nähe, die doch von einer unüberwindbaren Distanz getrennt ist. Der Sprecher befindet sich in einem Zustand der permanenten Erwartung und Enttäuschung. Er sucht nach Spuren der Geliebten, doch diese sind flüchtig und entziehen sich ihm immer wieder. Das Gedicht ist ein Ausdruck der inneren Bewegung, die Suche nach etwas, das man nie ganz fassen kann. Die Frage, ob „derselbe Vogel“ gestern gemeinsam geklungen hat, deutet an, dass es Momente der Resonanz gibt, jedoch ist diese geteilte Erfahrung nur ein flüchtiger Schein.

Rilkes Sprache ist geprägt von einer subtilen Melancholie und einer tiefen Innerlichkeit. Die Bilder sind vage und suggestiv, lassen aber dennoch eine starke emotionale Wirkung entstehen. Der Autor beschreibt die Geliebte nicht direkt, sondern durch indirekte Hinweise und Andeutungen. Dadurch wird die Unerreichbarkeit des Objekts der Sehnsucht noch verstärkt. Das Gedicht ist eine Elegie auf die Liebe, die in der Vorstellung existiert, eine Meditation über die Sehnsucht und die Unfähigkeit, das vollkommene Glück zu finden. Es ist ein bewegendes Zeugnis der menschlichen Erfahrung der Sehnsucht nach dem Unendlichen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.