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Du Dunkelheit, aus der ich stamme

Von

1919

Du Dunkelheit, aus der ich stamme
ich liebe dich mehr als die Flamme,
welche die Welt begrenzt,
indem sie glänzt
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen -:
für irgend einen Kreis,
aus dem heraus kein Wesen von ihr weiß.

Aber die Dunkelheit hält alles an sich:
Gestalten und Flammen, Tiere und mich, wie sie′s errafft,
Menschen und Mächte –

Und es kann sein: eine große Kraft
rührt sich in meiner Nachbarschaft.

Ich glaube an Nächte.

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Gedicht: Du Dunkelheit, aus der ich stamme von Rainer Maria Rilke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Du Dunkelheit, aus der ich stamme“ von Rainer Maria Rilke aus dem Jahr 1919 ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den Themen Dunkelheit, Erkenntnis und dem Mysterium des Seins. Es offenbart eine Wendung vom konventionellen Verständnis von Helligkeit und Dunkelheit, indem es die Dunkelheit als Quelle und als Ort der Geborgenheit preist. Rilke wendet sich von der scheinbaren Klarheit und Begrenzung der Welt ab, die durch die „Flamme“ symbolisiert wird, und wählt stattdessen die Dunkelheit als Ursprung und Zentrum seiner Existenz.

Der erste Teil des Gedichts stellt die Gegensätze gegenüber: die „Flamme“, die für das Licht und die Begrenzung der Welt steht, wird der Dunkelheit gegenübergestellt. Die Flamme, die Glanz und Orientierung bietet, wird paradoxerweise als hinderlich empfunden, da sie den Blick auf das Wesentliche, das Unbekannte, versperrt. Rilke offenbart hier eine Sehnsucht nach dem Unfassbaren, dem Geheimnisvollen, das sich jenseits der sichtbaren Welt verbirgt. Die Dunkelheit wird zur Metapher für das Unbewusste, das Reich des Unendlichen und Unergründlichen, aus dem alles hervorgeht. Der Vers „mich nicht so sehr verhinderte am Wachen -: / für irgend einen Kreis, / aus dem heraus kein Wesen von ihr weiß“ unterstreicht die Suche nach einer tieferen Erkenntnis, die sich der Helligkeit entzieht.

Im zweiten Teil entfaltet sich die Allumfassende Kraft der Dunkelheit. Sie umarmt alles, was existiert: „Gestalten und Flammen, Tiere und mich, wie sie’s errafft, / Menschen und Mächte“. Die Dunkelheit wird hier als ein alles einschließendes Prinzip verstanden, als eine Ursubstanz, die das Leben in all seinen Formen umfasst. Dies deutet auf ein pantheistisches Weltbild hin, in dem alles miteinander verbunden ist und aus derselben Quelle stammt. Die Zeile „Und es kann sein: eine große Kraft / rührt sich in meiner Nachbarschaft“ suggeriert die Möglichkeit einer dynamischen, schöpferischen Energie, die in der Dunkelheit verborgen ist und auf ihre Entfaltung wartet.

Das Gedicht findet seinen Höhepunkt in dem schlichten, aber tiefgründigen Bekenntnis „Ich glaube an Nächte“. Diese Zeile ist nicht nur eine Aussage des Glaubens an die Dunkelheit, sondern auch an die Möglichkeiten, die sie birgt: an die tiefe Erkenntnis, die im Verborgenen liegt, an die schöpferische Kraft des Unbewussten und an die Einheit des Seins. Rilkes Gedicht ist somit eine Ode an das Mysterium, eine Einladung, sich von den Begrenzungen der sichtbaren Welt zu lösen und sich dem Unbekannten zuzuwenden, das uns alle ausmacht und verbindet. Es ist ein Bekenntnis zur spirituellen Erfahrung und zur Suche nach einer tieferen Wirklichkeit.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.