Am Abend
Weisst du denn – wenn auf Baum und Strauch
Das Astwerk zittert und sich sträubt,
Und wenn der leicht gewellte Rauch
An einer Wetterwand zerstäubt –
Ein scheuer Vogel ohne Laut
An dir vorbei die Flügel schlägt,
Und Wolke sich an Wolke baut –
Wohin dein wilder Wunsch dich trägt?
Weisst du denn, wenn nun alle Welt
Sich eng an Hof und Heimstatt schmiegt,
Und deine Sehnsucht dich befällt, –
Wo deine eigne Heimat liegt?
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Am Abend“ von Hedwig Lachmann beschäftigt sich mit den Themen der Sehnsucht, des inneren Suchens und der Verbindung zur eigenen Heimat. Zu Beginn stellt die Dichterin eine Szene dar, in der die Natur lebendig wird: Das „Astwerk zittert und sich sträubt“, der „leicht gewellte Rauch“ zerstäubt an der Wetterwand – eine Landschaft, die von Bewegung und Veränderung geprägt ist. Diese Bilder können als Metaphern für die inneren Unruhen und das Streben des Menschen nach einem Ziel verstanden werden, das sich vielleicht genauso schnell auflöst wie der Rauch in der Luft.
Der „scheue Vogel“, der ohne Laut an der Person vorbeifliegt, symbolisiert möglicherweise den flüchtigen Charakter von Wünschen und Sehnsüchten. Der Vogel, der unhörbar und doch spürbar vorbeizieht, könnte die schwer fassbare Natur des eigenen Verlangens widerspiegeln, das weder ganz greifbar noch vollständig zu verstehen ist. Die „Wolke“, die sich an andere Wolken „baut“, könnte das Gefühl von Einsamkeit und dennoch das Streben nach Zusammengehörigkeit andeuten – die Sehnsucht nach etwas, das sich im Nebel der Unklarheit verliert.
Die zweite Strophe führt die Frage weiter: „Wo dein wilder Wunsch dich trägt?“ und „Wo deine eigne Heimat liegt?“ Diese Fragen sind existenzieller Natur. Die Welt scheint sich immer weiter zu verengen, wenn „alle Welt sich eng an Hof und Heimstatt schmiegt“, und die innere Sehnsucht nach etwas Größerem oder Anderem wird stark. Doch die Frage bleibt offen, wo das wahre Zuhause, die wahre Heimat, für die Sprecherin liegt. Es ist nicht nur der physische Ort gemeint, sondern auch die geistige und emotionale Heimat, nach der jeder Mensch auf seine Weise sucht.
Das Gedicht endet auf einer nachdenklichen Note und fordert den Leser auf, über die Bedeutung von Heimat und innerem Frieden nachzudenken. Heimat ist hier nicht nur ein Ort, sondern ein Zustand des inneren Einklangs, den man oft erst suchen muss, um ihn zu finden. Die Fragen bleiben offen, was die Tiefe und Vielschichtigkeit der Themen in diesem Gedicht unterstreicht. Es wird kein endgültiges Ziel oder eine Lösung präsentiert, sondern die Reise der Suche selbst wird thematisiert.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.