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Erwachen bei der Geliebten

Von

Die Holde schläft: zu früh bin ich erwacht:
Ein Wort ist süß und gelte diese Nacht.
Ich wird‘ es heute nicht, nicht morgen tun
Doch irgendwann und selig kann ich ruhn.
Ich töte dich.

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Gedicht: Erwachen bei der Geliebten von Otfried Krzyzanowski

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Erwachen bei der Geliebten“ von Otfried Krzyzanowski ist ein extrem verdichteter, verstörender Text, der in nur fünf Zeilen eine beklemmende Spannung zwischen Liebe, Gewalt und Tod aufbaut. Es beginnt mit einer scheinbar zarten, intimen Szene – das lyrische Ich liegt neben der Schlafenden, in einem Moment der Nähe, des Morgens nach einer gemeinsamen Nacht. Doch das Gedicht nimmt eine radikale Wendung, die den Leser schockiert und zur Deutung herausfordert.

Der erste Vers wirkt sanft: „Die Holde schläft: zu früh bin ich erwacht.“ Der Ausdruck „die Holde“ erinnert an traditionelle Liebeslyrik, ist beinahe ritterlich verklärt. Doch im nächsten Vers wird bereits deutlich, dass in dieser Liebesszene eine obsessive Fixierung liegt: „Ein Wort ist süß und gelte diese Nacht.“ Das „Wort“ bleibt zunächst ungenannt, doch die Ankündigung, es irgendwann auszusprechen – „nicht heute, nicht morgen, doch irgendwann“ – schafft eine bedrohliche Erwartungshaltung.

Die Spannung entlädt sich abrupt und kalt im letzten Vers: „Ich töte dich.“ Dieser Satz steht isoliert und widersetzt sich jeder romantischen Interpretation. Er wirft einen dunklen Schatten auf die vorangehenden Zeilen und zwingt dazu, den gesamten Text rückblickend neu zu lesen. Die Liebe, die Nähe, das Erwachen – alles steht plötzlich im Zeichen einer obsessiven Gewaltfantasie.

Der Kontrast zwischen der intimen Szene und der plötzlichen Mordankündigung erzeugt eine psychologisch dichte Atmosphäre. Das lyrische Ich offenbart eine düstere Innenschau, in der Zärtlichkeit und Zerstörung unentwirrbar verwoben sind. Das „selige Ruhen“ verweist möglicherweise auf eine Erlösung in der Tat selbst – eine Vorstellung, die das Gedicht in den Bereich existenzieller, vielleicht pathologischer Grenzerfahrungen führt.

„Erwachen bei der Geliebten“ ist ein radikales Gedicht, das mit der Form der Liebeslyrik bricht, um obsessive Macht- und Todesfantasien offenzulegen. Die kunstvolle Kürze, der abrupte Stimmungsbruch und die emotionale Kälte machen es zu einem tief verstörenden, aber auch faszinierenden poetischen Fragment.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.