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An die oberen Zehntausend

Von

O kehrtet einmal ihr aus den Palästen
Im dunstigen Dunkel enger Gassen ein!
O kehrtet einmal ihr von euren Festen
Ins vierte Stockwerk, wo beim Öllichtschein
Blutarme Näherinnen um den Bissen
Des lieben Brots zehn Stunden nähen müssen!

Kröcht′ einmal ihr mit eurem Schmuck behangen
Zur Kellerwohnung, wo der Schuster flickt,
Sein armes Weib mit hungerbleichen Wangen
Den Säugling an die welken Brüste drückt,
Von einer Mark oft sieben Menschen leben,
Die doch dem Kaiser noch den Groschen geben!

Es würd′ euch grausen, und in eure Stirnen
Käm′ Flammen gleich das Krösusblut gerollt,
Und durch den Puder eurer feilen Dirnen
Bräch′ sich die Schamglut um das Sündengold,
Und wie, wenn Eise sich mit Feuern mischen,
Würd′ euch das Herz in frost′gen Schaudern zischen.

Ihr müsstet zittern, dächtet ihr im Düster
Des Vorstadtelends an der Schlösser Pracht,
An Baldachin und Purpurbett und Lüster,
An Wein und Sillery und Wonnenacht
Und tausendfach müsst′ euch von allen Mauern
Vernichtung flammengrell entgegenschauern…

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Gedicht: An die oberen Zehntausend von Oskar Jerschke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An die oberen Zehntausend“ von Oskar Jerschke ist eine scharfe soziale Kritik an der Kluft zwischen Arm und Reich im späten 19. Jahrhundert. Der Autor wendet sich direkt an die wohlhabende Elite und fordert sie auf, ihre luxuriösen Lebenswelten zu verlassen und die Not des Proletariats kennenzulernen. Die Verwendung von Ausrufen und direkten Anreden verdeutlicht die Dringlichkeit und den Appellcharakter des Gedichts.

Jerschke zeichnet zunächst ein kontrastreiches Bild: Auf der einen Seite stehen die Paläste, Feste und der Luxus der Reichen, auf der anderen die „dunstigen Dunkel enger Gassen“ und die Not der Arbeiterklasse. Die beschriebenen Szenen des Nähens unter Öllichtschein, des Hungers und des Überlebenskampfes der Schusterfamilie erzeugen ein eindringliches Bild des Elends. Durch die konkrete Beschreibung der Arbeitsbedingungen und der Lebensumstände der Armen versucht der Autor, Empathie und ein Gefühl der Scham bei den Reichen zu wecken.

In den letzten Strophen gipfelt die Kritik in einer direkten Konfrontation mit den Folgen der sozialen Ungleichheit. Die Reichen würden sich vor Grauen fürchten und sich schämen, wenn sie mit dem Elend der Armen konfrontiert wären. Die Metaphern von „Krösusblut“ und „Sündengold“ unterstreichen die Korruption und die moralische Verdorbenheit der Oberschicht. Die Zeile „Wie, wenn Eise sich mit Feuern mischen, / Würd′ euch das Herz in frost′gen Schaudern zischen“ veranschaulicht die emotionale Reaktion der Reichen, die von Angst und Ekel erfasst würden.

Abschließend lässt das Gedicht die Vision der Vernichtung entstehen, die von den Mauern der Luxuswelt auf die Reichen zukommt. Dies deutet auf eine drohende Revolution oder einen gesellschaftlichen Umbruch hin, wenn die soziale Ungleichheit nicht behoben wird. Jerschke fordert mit diesem Gedicht ein Umdenken und eine soziale Veränderung, indem er die Reichen mit der Realität der Armen konfrontiert und ihnen die Konsequenzen ihres Lebensstils vor Augen führt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.