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Sehnsucht

Von

Es war einmal.
Ich leb‘ am Tage vom Gedanken,
nachts von der Qual;
oft träum‘ ich nur vom Traum.
Du gehst dahin und bist dir selbst es kaum.
Im meinem Wahn jedoch, dem fieberkranken,
sind deine Wesen ohne Zahl.

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Gedicht: Sehnsucht von Karl Kraus

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Sehnsucht“ von Karl Kraus vermittelt eine tiefe innere Zerrissenheit und die Spannung zwischen Traum und Realität. Die erste Zeile „Es war einmal“ wirkt wie ein Rückblick in eine vergangene Zeit, die möglicherweise mit einer verlorenen oder unerreichbaren Sehnsucht verbunden ist. Die Formulierung deutet auf eine Geschichte hin, die längst vorüber ist, aber deren Echo im Hier und Jetzt nachhallt. Die Worte „Ich leb’ am Tage vom Gedanken, nachts von der Qual“ schaffen ein Bild von jemandem, der von inneren Konflikten und unerlösten Wünschen geplagt wird – tagsüber von den Gedanken, die ihn beschäftigen, und nachts von den quälenden Sorgen und Ängsten.

Das „Träumen vom Traum“ verstärkt den Eindruck von Unklarheit und Entfremdung. Es wird eine fast surreale Atmosphäre erzeugt, in der der Unterschied zwischen Traum und Realität verwischt wird. Der Erzähler scheint gefangen in einer Welt von Fantasien und unerfüllten Wünschen, was zu einer ständigen Zerrissenheit führt. Der Traum ist hier nicht nur ein Fluchtmechanismus, sondern auch ein Zustand, in dem der Erzähler sich selbst verliert. Die Distanz zwischen der äußeren Realität und der inneren Welt wird immer größer.

Der Vers „Du gehst dahin und bist dir selbst es kaum“ spricht von einer Entfremdung, sowohl von sich selbst als auch von anderen. Die Person, an die sich der Erzähler richtet, ist in ihrer eigenen Welt, vielleicht mit eigenen Gedanken und Gefühlen beschäftigt, und kaum fähig, sich der eigenen Existenz und ihrer Bedeutung bewusst zu werden. Es entsteht der Eindruck von unerfüllter Nähe und einem Verlust der Verbindung zwischen den Menschen.

Der Schluss des Gedichts, „In meinem Wahn jedoch, dem fieberkranken, / sind deine Wesen ohne Zahl“, hebt die Intensität des inneren Konflikts des Erzählers hervor. Der „Wahn“ und das „fieberkranke“ Empfinden verweisen auf eine zunehmend unkontrollierte, von Sehnsucht geprägte Wahrnehmung der Welt, in der die „Wesen“ der angesprochenen Person zu einer Vielzahl von unbestimmten Gestalten werden. Diese Überhöhung der anderen Person durch die eigene Projektion unterstreicht die Verzweiflung des Erzählers, seine Sehnsucht und seine verzerrte Wahrnehmung von Realität und Identität.

Insgesamt lässt sich Kraus‘ Gedicht als eine Reflexion über die Komplexität der Sehnsucht, der inneren Zerrissenheit und der Unfähigkeit, sich selbst und die Welt in ihrer ganzen Klarheit zu erfassen, verstehen. Es zeigt den unaufhörlichen Kampf zwischen Traum und Realität und das unerfüllte Verlangen nach etwas oder jemandem, das nie wirklich greifbar wird.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.