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Ich weiß es

Von

Plage steht am Wege, den ich schreiten will,
Not steht an dem Wege, den ich schreiten will,
Tod steht an dem Wege, den ich schreiten will,
Klage liegt am Wege, den ich schreiten will.

Und Zungen hat jeder Meilenstein,
Und alle die kleinen Kiesel schrein,
Schrein Weh – wo ein Mädchen röchelnd sank,
Flüchtig, verlassen, müd und krank.
Not steht an dem Wege, den ich schreiten will,
Tod steht an dem Wege, den ich schreiten will,
Und ich schreit ihn doch!

Törichte Mädchen in Schmach und Pein:
Tausend gingen vor mir.
Tausend kommen nach mir.
Ich werde die Tausendhunderste sein.
Meine Lippen auf fremdem Mund:
Und sterben ein Weib wie ein räudiger Hund –
Schreckt’s Dich nicht? Nein.
Meines Herzens Schlag an fremder Brust:
Lache, mein Aug, eh du weinen musst!
Und du weinst ja nicht allein!

Not steht an dem Wege, den ich schreiten will,
Tod steht an dem Wege, den ich schreiten will,
Kummer und Klage, graue Plage:
Ich weiß es – und schreit ihn doch!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Ich weiß es von Gertrud Kolmar

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ich weiß es“ von Gertrud Kolmar ist ein eindrucksvolles und zugleich bedrückendes Werk, das den inneren Konflikt einer Frau auf der Suche nach ihrem Weg inmitten von Leid und Verzweiflung darstellt. Die wiederholte Zeile „Not steht an dem Wege, den ich schreiten will“ zeigt eine quälende Gewissheit, dass der Lebensweg der Ich-Erzählerin von Plage, Not und Tod gezeichnet ist. Der Weg ist voller Schmerz, was die wiederholte Nennung von „Klage“ und „Weh“ verstärkt.

Im zweiten Teil des Gedichts spiegelt sich die Resignation und der Verfall der Erzählerin wider. Die Metaphern des „mädchen röchelnd sank“ und „flüchtig, verlassen, müd und krank“ illustrieren den physischen und emotionalen Verfall, den das Mädchen auf diesem schweren Weg erfährt. Dennoch schreitet sie weiter, obgleich sie sich der unausweichlichen Tragik ihres Schicksals bewusst ist. Diese Zerrissenheit zwischen dem Wissen um das drohende Unheil und dem Drang, trotzdem weiterzugehen, ist eine der zentralen Konflikte des Gedichts.

Die Ich-Erzählerin selbst sieht sich als Teil eines viel größeren, unaufhaltsamen Kreislaufs. Sie spricht von den „Tausend“, die vor und nach ihr den gleichen Weg gegangen sind – ein Hinweis auf die historische und kollektive Erfahrung von Frauen, die in ihrem Leben oft Opfer von Leid und Unterdrückung werden. Ihre resignierte Haltung wird durch die dunklen Bilder von „sterben ein Weib wie ein räudiger Hund“ verstärkt, was auf die Entwürdigung und das Gefühl der Ohnmacht hinweist, das die Erzählerin empfindet.

Die letzte Zeile des Gedichts, „Ich schreit ihn doch!“, stellt eine verzweifelte und zugleich trotzig-entschlossene Haltung dar. Trotz des Wissens um das drohende Leid und den Tod, bleibt die Erzählerin auf ihrem Weg, möglicherweise in einem Akt der Selbstbehauptung, aber auch in der Akzeptanz ihrer Rolle im Leben. Kolmar setzt hier geschickt eine Mischung aus Verzweiflung und Widerstand ein, um die schwierige Lebensrealität der Frau zu thematisieren und ihre Zerrissenheit zwischen Aufgeben und Durchhalten zu verdeutlichen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.