Ein Fetzen Weh
Ein Fetzen Weh, vom Wind daher gefegt
Das war er nun.
Ich hab ihn still ins heil’ge Buch gelegt,
Zu ruhn – zu ruhn – – –
Und die vergilbten Blätter schlossen ihn
So linde ein,
Die Totenhülle, weißer denn Jasmin,
Der braune Schrein.
So fern der Unrast, die da draußen tost,
Hat er geruht.
Und war der Klage voll und gab mir Trost –
Er war so gut – – –
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Ein Fetzen Weh“ von Gertrud Kolmar ist eine leise, eindrucksvolle Meditation über Schmerz, Erinnerung und inneren Trost. In wenigen, zarten Versen schildert das lyrische Ich den Umgang mit einem vergangenem Leid, das wie ein „Fetzen Weh“ erscheint – etwas Kleines, scheinbar Unbedeutendes, das aber eine tiefe emotionale Bedeutung trägt.
Die zentrale Geste des Gedichts ist das Einlegen dieses „Fetzens“ in ein „heil’ges Buch“. Dieses Bild wirkt zugleich rituell und intim: Das Leid wird nicht weggestoßen oder vergessen, sondern bewahrt – fast wie eine Reliquie. Das „heil’ge Buch“ kann dabei für ein Tagebuch, ein Gebetbuch oder symbolisch für die eigene Erinnerung stehen. Die Handlung ist still, respektvoll und deutet darauf hin, dass Schmerz ein Teil des Lebens ist, den man achtsam und würdevoll behandelt.
Kolmars Sprache ist von großer Schlichtheit und dennoch tief poetisch. Die Bilder des Gedichts – der „Fetzen“, die „vergilbten Blätter“, die „Totenhülle“ – erzeugen eine Atmosphäre von Vergänglichkeit und zärtlicher Andacht. Der Schmerz wird zur zarten Erinnerung, die „voll Klage“ war, aber dem Ich paradoxerweise Trost gespendet hat. Damit schlägt Kolmar einen Ton an, der zwischen Melancholie und Heilung oszilliert.
„Er war so gut – – –“ – dieser letzte, betont schlichte Vers schließt das Gedicht mit einer fast kindlichen Ehrlichkeit. Der Schmerz wird personifiziert, als hätte er eine eigene Qualität, ein eigenes Wesen gehabt. Diese Haltung verleiht dem Gedicht eine tief menschliche Würde: Es zeigt, wie Leid nicht nur zerstören, sondern auch zur Quelle von Erkenntnis und innerem Frieden werden kann.
„Ein Fetzen Weh“ ist ein stilles, kontemplatives Gedicht, das in wenigen Worten eine existenzielle Erfahrung verdichtet – es ist Klage, Gedenken und Trost zugleich, getragen von einer poetischen Sprache, die gerade in ihrer Einfachheit berührt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.