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Thuiskon

Von

Wenn die Strahlen vor der Dämrung nun entfliehn und der Abendstern
Die sanfteren, entwölkten, die erfrischenden Schimmer nun
Nieder zu dem Haine der Barden senkt,
Und melodisch in dem Hain die Quell‘ ihm ertönt;

So entsenket die Erscheinung des Thuiskon, wie Silber stäubt
Von fallendem Gewässer, sich dem Himmel, und komt zu euch,
Dichter, und zur Quelle. Die Eiche weht
Ihm Gelispel. So erklang der Schwan Venusin,

Da verwandelt er dahin flog. Und Thuiskon vernimts, und schwebt
In wehendem Geräusche des begrüssenden Hains, und horcht;
Aber nun empfangen, mit lauterm Gruss,
Mit der Sait‘ ihn und Gesang, die Enkel um ihn.

Melodieen, wie der Telyn in Walhalla, ertönen ihm
Des wechselnden, des kühneren, deutscheren Odenflugs,
Welcher, wie der Adler zur Wolk‘ itzt steigt,
Dann herunter zu der Eiche Wipfel sich senkt.

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Gedicht: Thuiskon von Friedrich Gottlieb Klopstock

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Thuiskon“ von Friedrich Gottlieb Klopstock ist eine poetische Vision, die die Verbindung zwischen dem dichterischen Geist, der Natur und einer mythologischen Gestalt zelebriert. Thuiskon, eine symbolische oder mythologische Figur germanischer Herkunft, erscheint hier als Verkörperung des schöpferischen Genius, der den Dichtern erscheint – besonders im Moment der Dämmerung, wenn Licht und Klang, Natur und Geist, in Einklang treten.

Die Szenerie ist tief romantisch und durchdrungen von Ruhe und Erhabenheit: Mit dem Untergang des Tages, wenn der Abendstern die ersten zarten Lichter auf den „Hain der Barden“ wirft, setzt das Gedicht ein. Diese Tageszeit wird traditionell mit Inspiration, Rückzug und innerem Lauschen assoziiert. In diesem Moment erscheint Thuiskon – nicht mit Pomp, sondern in einer zarten, fast ätherischen Bewegung, „wie Silber stäubt / von fallendem Gewässer“. Seine Ankunft in der Natur ist klanglich wie visuell ein Ereignis der Sanftheit und Harmonie.

Besonders auffällig ist Klopstocks Bildsprache, die Natur und Musik untrennbar verbindet. Die Eiche – ein traditionelles Symbol germanischer Dichtung und Stärke – „weht ihm Gelispel“, und das Geräusch erinnert an den Schwan aus der Venus-Mythologie. Die Natur ist nicht bloße Kulisse, sondern aktiver Teil der Inspiration. Gleichzeitig ist der Hain ein heiliger Ort, eine Art Arkadien, in dem sich die Dichter versammeln, um ihre Muse zu empfangen.

Die Figur des Thuiskon wird als ein Geist verstanden, der die Dichter der Gegenwart mit der Tradition ihrer Vorfahren verbindet. Er wird von den „Enkeln“ begrüßt – den heutigen Dichtern –, die ihn mit Liedern und Klängen empfangen, wie man es in Walhalla täte. Die deutsche Dichtung wird hier als etwas Lebendiges und Weiterentwickeltes verstanden: mutiger („kühner“), eigenständiger („deutscher“), und wie der „Adler“ in der Lage, Höhenflüge zu vollführen, aber auch die Nähe zur Erde, zur Eiche, zu bewahren.

„Thuiskon“ ist damit eine poetische Meditation über die Kontinuität und Erneuerung der Dichtung, über den göttlich-natürlichen Ursprung des poetischen Schaffens und über die Verbindung zwischen alter mythischer Kraft und moderner dichterischer Ausdruckskraft. Klopstock erhebt den deutschen Dichter zum Träger eines geistigen Erbes, das sich durch Natur, Sprache und Melodie manifestiert – getragen von einem Geist, der leise, aber machtvoll wirkt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

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