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Stintenburg

Von

Insel der froheren Einsamkeit,
Geliebte Gespielin des Wiederhalls
Und des Sees, welcher itzt breit, dann, versteckt
Wie ein Strom, rauscht an des Walds Hügeln umher,

Selber von steigenden Hügeln voll,
Auf denen im Rohr die Moräne weilt,
Sich des Garns Tücke nicht naht, und den Wurm
An dem Stahl, leidend mit ihm, ferne beklagt.

Flüchtige Stunden verweilt‘ ich nur
An deinem melodischen Schilfgeräusch;
Doch verlässt nie dein Phantom meinen Geist,
Wie ein Bild, welches mit Lust Geniushand

Bildete, trotzt der Vergessenheit!
Der Garten des Fürsten verdorrt, und wächst
Zu Gesträuch, über des Strauchs Wildniss hebt
Sich der Kunst meisterhaft Werk daurend empor.

Neben dir schattet des Sachsen Wald,
Sein Schwert war entscheidend, und kurz sein Wort!
Und um dich glänzeten nie Schilde Roms,
Sein Despot sendete nie Adler dir zu!

Ruhiger wandelt‘ in deinem Thal
Der Göttinnen beste, die sanfte Hlyn.
Es erscholl freudiges Klangs Braga’s Lied
Um dich her, mischte nicht ein Rufe der Schlacht.

Über dem stolzeren Strome nur,
Der Ham sich vorüber ins Meer ergiesst,
Da umgab Blut den Bardiet, liess den Speer
Mit des Lieds schreckendem Drohn fliegen der Gott!

Aber wenn Hertha zum Bade zog,
So eilete Braga zu dir zurück,
So begann Lenzmelodie, liess der Gott
Bey des Lieds Tanze dahin sinken den Speer.

Seines Gesanges erschallet noch;
Mich lehret er älteren deutschen Ton,
Wenn entwölkt wallet der Mond, und es sanft
Um das Grab derer ertönt, welchen er sang.

Horchend dem lehrenden Liede, säng‘
Ich deinen Bepflanzer, o Insel, nähm‘
Ich des Hains Flügel, nnd eilt‘, heilig Laub
In der Hand, ihm, wo der Ruhm ewiget, nach!

Aber entweihet, entweihet ward
Die Leyer, die Flüge des Lobes flog!
Dem Verdienst selten getreu, rauschte sie
Um das Ohr dess, der an That dürftig, verschwand.

Leyer des heiligen Bardenhais,
Verwünsche des Ehreverschwenders Lied,
So zuerst, trügenden Glanz, den besang!
Und der That lautes Verbot, das nicht vernahm!

Kühner Verschwender! nun glauben sie
Der edleren Dichter Gesange nicht;
(Es verweh, so wie der Staub jenes Maals,
Dess Ruin sinket, es geh unter dein Lied!)

Täuschen sich, kältere Zweifler noch,
Wenn jeden geflügelten Silberton,
So den Schwung über des Hains Wipfel schwingt,
Das Verdienst dessen gebot, welchen ihr sangt.

Ja du Verschwender! nun strömt mein Herz
In höheren wahren Gesang nicht aus!
Es verweh, so wie der Staub jenes Maals,
Dess Ruin sinket, es geh unter dein Lied!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Stintenburg von Friedrich Gottlieb Klopstock

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Stintenburg“ von Friedrich Gottlieb Klopstock ist eine poetische Hommage an einen realen Ort – die Insel Stintenburg im Schaalsee – die hier zur idealisierten Landschaft der Einkehr, Dichtung und geschichtlichen Größe stilisiert wird. Klopstock verbindet Naturbeschreibung, persönliche Erinnerung, mythologische Anspielungen und kulturkritische Reflexion zu einem vielschichtigen lyrischen Text, der zwischen Idylle und moralischer Anklage schwingt.

Die Insel erscheint zunächst als Rückzugsort, als „Insel der froheren Einsamkeit“, wo die Natur in Harmonie klingt – der See, das Schilf, das sanfte Rauschen: all das schafft einen Klangraum der Erinnerung. Die lyrische Ich-Figur verweilte dort nur kurz, doch die Eindrücke dieses Ortes wirken nach – wie ein künstlerisch geschaffenes Bild, das sich dem Vergessen widersetzt. Natur und Genius, Landschaft und Kunst verschmelzen zu einem zeitlosen Ideal. Selbst der „Garten des Fürsten“ mag vergehen, doch „Kunst meisterhaft“ bleibt.

Im mittleren Teil weitet sich das Bild zu einer historischen und mythologischen Betrachtung: Klopstock positioniert Stintenburg als Ort, der nie von römischer Herrschaft („Adler Roms“) berührt wurde, sondern im Schutz des „Sachsenwalds“ und unter nordisch-germanischer Götterpräsenz steht. Göttinnen wie Hlyn oder Braga verkörpern Frieden, Musik und Dichtung – im Gegensatz zum blutigen Kriegsgesang der Schlacht, der nur „über dem stolzeren Strome“, der Elbe, zu hören war. Die Insel wird so zum symbolischen Ort einer gewaltlosen, wahrhaft deutschen Kultur.

Mit zunehmender Intensität wendet sich das Gedicht der Kritik zu: Die „Leyer“ – die Dichterkunst – sei „entweihet“ worden. Sie preise nicht mehr das wahre Verdienst, sondern sei dem „trügenden Glanz“ verfallen. Klopstock klagt jene an, die mit hohlem Lob und oberflächlichem Ruhm die Bedeutung echter Taten und echter Dichtung verzerren. Der „Verschwender“ steht exemplarisch für die Verderbnis des dichterischen Lobes, das nicht mehr unterscheidet zwischen wahrer Größe und bloßer Wirkung.

Die letzten Strophen drücken Resignation aus: Das Herz des Dichters „strömt“ nicht mehr „in höheren wahren Gesang“ aus – das falsche Lob hat die Quelle echter Begeisterung verschüttet. Doch zugleich klingt in der scharfen Anklage auch ein ethischer Appell mit: Dichtung muss sich wieder dem wahren Verdienst zuwenden, die Leyer darf nicht dem Blender, sondern nur dem Würdigen klingen.

„Stintenburg“ ist damit nicht nur ein landschaftliches Lobgedicht, sondern eine poetische Verteidigung der Wahrhaftigkeit in der Kunst. Klopstock erhebt seine Stimme gegen Verflachung, gegen Verirrung des Ruhms, und beschwört einen Ort – geografisch wie geistig –, an dem Dichtung noch mit moralischer Kraft, Schönheit und Tiefe erfüllt ist.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.