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Siona

Von

Töne mir, Harfe des Palmenhains,
Der Lieder Gespielin, die David sang!
Es erhebt steigender sich Sions Lied,
Wie des Quells, welcher des Hufs Stampfen entscholl.

Höher in Wolken, o Palmenhain,
Erblickst du das Thal, wie der Lorberwald!
Und entsenkst Schatten, herab auf den Wald,
Dem Gewölk, welches dich deckt, Palme, mit Glanz,

Tanze, Siona, Triumph einher!
Am Silbergelispel Phiala’s trit
Sie hervor! schwebet im Tanz! fühlts, wie du
Sie erhebst, Religion dessen, der ist!

Seyn wird! und war! Der erbabnen weht
Sanft Rauschen vom Wipfel der Palme nach.
An dem Fall, welchen du tönst, reiner Quell
Des Krystals, rufen ihr nach Berge Triumph!

Feuriger blickt sie! ihr Haupt umkränzt
Die Rose Sarona, des Blumenthals.
Ihr Gewand fliesst, wie Gewölk, sanft um sie,
Wie des Tags Frühe gefärbt, Purpur und Gold.

Liebevoll schauet, o Sulamith
Siona, mein Blick dir, und freudig nach!
Es erfüllt Wehmuth und Ruh, Wonn‘ erfüllt
Mir das Herz, wenn du dein Lied, himlische, singst.

Hört ihr? Siona begint! schon rauscht
Der heilige Hain von dem Harfenlaut!
Des Krystals Quelle vernimts, horcht, und steht;
Denn es wehn Lispel im Hain rings um sie her.

Aber itzt stürzt sie die Well‘ herab
Mit freudiger Eil! Denn Siona nimt
Die Posaun‘, hält sie empor, lässt sie laut
Im Gebirg‘ hallen! und ruft Donner ins Thal!

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Gedicht: Siona von Friedrich Gottlieb Klopstock

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Siona“ von Friedrich Gottlieb Klopstock ist ein hymnischer Lobgesang auf die heilige Stadt Zion, die in der biblischen Tradition als Sinnbild des göttlichen Ortes, der Offenbarung und der religiösen Erhebung steht. Klopstock verwebt in diesem Gedicht Naturbild, religiöse Ekstase und Musik zu einer visionären Einheit, in der die geistige Kraft der Religion und der Dichtung miteinander verschmelzen.

Zentral ist die Rolle der Musik: Die Harfe, die „Gesellin“ der Lieder Davids, steht zu Beginn als Medium heiliger Poesie. Sie eröffnet den Zugang zur göttlichen Erfahrung. Die Sprache des Gedichts ist hochsymbolisch – der „Palmenhain“ und „Lorbeerwald“ stehen für erhöhte, erhabene Orte, aus denen heraus das Lied „Sions“ emporsteigt, vergleichbar mit dem Aufsteigen einer Quelle, die durch ein göttliches Zeichen – den Hufschlag – in Bewegung gesetzt wurde.

Siona selbst wird zur Verkörperung des triumphalen Glaubens: Sie tritt hervor „am Silbergelispel Phiala’s“, also inmitten von sakralem Glanz, bewegt sich im Tanz, erhoben durch den Geist Gottes („Religion dessen, der ist!“). Die Verbindung von Bewegung, Natur und Glaube wird durch die Musik des Quells und das Rauschen der Palme begleitet – Natur selbst wird zum Resonanzraum der göttlichen Präsenz.

Besonders hervorzuheben ist die Bildhaftigkeit der Erscheinung Sionas: Ihr Haupt ist mit „der Rose Sarona“ geschmückt, ihr Gewand gleicht „Purpur und Gold“ des frühen Tageslichts. Sie ist Lichtgestalt und Priesterin zugleich, und in der Beziehung zu Sulamith, einer weiteren biblischen Figur, entsteht eine Verbindung zwischen religiöser Liebe und inniger Bewunderung. Das lyrische Ich ist dabei nicht nur Betrachter, sondern auch geistig ergriffen – zwischen „Wehmuth und Ruh“, erfüllt von heiliger Freude.

Der Schluss steigert die Ekstase des Gedichts: Die Harfe wird lauter, die Quelle horcht und „steht“, die Natur lauscht. Schließlich erhebt Siona selbst die Posaune und ruft „Donner ins Thal“ – ein Symbol der prophetischen Verkündigung, vielleicht der göttlichen Gerechtigkeit oder des Weltenrufs. Damit erreicht das Gedicht seinen Höhepunkt in einer Mischung aus heiliger Gewalt und himmlischer Musik.

„Siona“ ist somit ein poetisch-religiöses Visionserlebnis, das die Macht der Sprache, der Musik und des Glaubens feiert. Klopstock gestaltet mit großer emotionaler und sprachlicher Kraft eine Welt, in der Dichtung und Religion eins werden – getragen von der Idee, dass das Göttliche durch Musik, Natur und das ergriffene Herz des Menschen spricht.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.