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Kaiser Heinrich

Von

Lass unsre Fürsten schlummern in weichem Stuhl,
Vom Höfling rings umräuchert, und unberühmt,
So jetzo, und im Marmorsarge
Einst noch vergessner, und unberühmter!

Frag nicht des Tempels Halle; sie nennte dir
Mit goldnem Munde Namen, die keiner kent:
Bey diesen unbekränzten Gräbern
Mag der Heralde, sich wundernd, weilen!

Lass dann, und jetzt sie schlummern! Es schlummert ja
Mit ihnen der selbst, welcher die blutigen
Siegswerthen Schlachten schlug, zufrieden,
Dass er um Galliens Pindus irrte.

Zur Wolke steigen, rauschen, ihm ungehört,
Der deutschen Dichter Haine, Begeisterer,
Wehn nah am Himmel sie. Doch ihr auch
Fremdling, erstieg er des Pindus Höh nicht.

Schnell Fluss, und Strom schnell, stürzen, am Eichenstam,
In deinem Schatten, Palme, zwo Quellen fort.
Ihr seht die reinen tiefen Quellen,
Seht der Dichtenden Grundanlagen.

Weich, Ungeweihter! deinem zu trüben Blick
Ist überschleiert Schönheit im Anbeginn;
Bald rieselt sie nicht mehr als Quelle,
Giesst in Gefilde sich, reisst das Herz fort!

Wer sind die Seelen, die in der Haine Nacht
Herschweben? Liesst ihr, Helden, der Todten Thal?
Und kamt ihr, eurer späten Enkel
Rachegesang an uns selbst zu hören?

Denn ach wir säumten! Jetzo erschrecket uns
Der Adler keiner über der Wolkenbahn.
Des Griechen Flug nur ist uns furchtbar,
Aber die Religion erhöhet

Uns über Hämus, über des Hufes Quell!
Posaun‘, und Harfe tönen, wenn sie beseelt;
Und tragischer, wenn sie ihn leitet,
Hebet, o Sophokles, dein Kothurn sich.

Und wer ist Pindar gegen dich, Bethlems Sohn,
Des Dagoniten Sieger, und Hirtenknab‘,
O Isaide, Sänger Gottes,
Der den Unendlichen singen konte!

Hört uns, o Schatten! Himmelan steigen wir
Mit Kühnheit. Urtheil blickt sie, und kent den Flug.
Das Maass in sichrer Hand, bestimmen
Wir den Gedanken, und seine Bilder.

Bist du, der Erste, nicht der Eroberer
Am leichenvollen Strom? und der Dichter Freund?
Ja, du bist Karl! Verschwind, o Schatten,
Welcher uns mordend zu Christen machte!

Tritt, Barbarossa, höher als er empor;
Dein ist der Vorzeit edler Gesang! Denn Karl
Liess, ach umsonst, der Barden Kriegshorn
Tönen dem Auge. Sie liegt verkennet

In Nachtgewölben unter der Erde wo
Der Klosteröden, klaget nach uns herauf
Die farbenhelle Schrift, geschrieben,
Wie es erfand, der zuerst dem Schall gab

In Hermanns Vaterlande Gestalt, und gab
Altdeutschen Thaten Rettung vom Untergang!
Bey Trümmern liegt die Schrift, des stolzen
Franken Erfindung, und bald in Trümmern,

Und ruft, und schüttelt (hörst du es, Cellner, nicht?)
Die goldnen Buckeln, schlägt an des Bandes Schild
Mit Zorn! Den, der sie höret, nenn‘ ich
Dankend dem froheren Wiederhalle!

Du sangest selbst, o Heinrich: Mir sind das Reich
Und unterthan die Lande; doch misst‘ ich eh
Die Kron‘, als Sie! erwählte beydes
Acht mir und Bann, eh ich Sie verlöre!

Wenn jetzt du lebtest, edelster deines Volks,
Und Kaiser! würdest du, bey der Deutschen Streit
Mit Hämus Dichtern, und mit jenen
Am Kapitol, unerwecklich schlummern?

Du sängest selber, Heinrich: Mir dient, wer blinkt
Mit Pflugschaar, oder Lanze; doch misst‘ ich eh
Die Kron‘, als Muse, dich! und euch, ihr
Ehren, die länger als Kronen schmücken!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Kaiser Heinrich von Friedrich Gottlieb Klopstock

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Kaiser Heinrich“ von Friedrich Gottlieb Klopstock ist ein patriotischer, zugleich tief reflektierender Lobgesang auf eine idealisierte Form von Herrschaft und Dichtkunst. In scharfer Abgrenzung zu zeitgenössischen Fürsten, die als belanglos, ruhmsüchtig und geistlos dargestellt werden, erhebt Klopstock den mittelalterlichen Kaiser Heinrich II. zum Sinnbild eines wahrhaft edlen Herrschers – nicht durch Macht oder Glanz, sondern durch Tugend, Demut und kulturelles Empfinden.

Eingeleitet wird das Gedicht mit einer schroffen Ablehnung gegenwärtiger Machtträger, die „unberühmt“ bleiben und es auch nach dem Tod nicht zu bleibendem Ruhm bringen werden. Der „Tempel“ mit seinen leer verherrlichten Namen kontrastiert mit den „unbekränzten Gräbern“ jener, die in der Geschichte zwar vergessen, aber aus dichterischer Sicht würdiger sind. Klopstock hinterfragt den äußeren Glanz von Ruhm und betont stattdessen den moralischen und poetischen Gehalt wahrer Größe.

Im weiteren Verlauf öffnet sich der Blick auf das Verhältnis zwischen Dichtung und Nation. Klopstock beklagt, dass der „deutsche Dichterhain“ ungehört rauscht, dass frühere kulturelle Schätze verschüttet sind – auch durch die Vernachlässigung der eigenen Geschichte. Der mythisch aufgeladene Rückgriff auf Helden, Schatten und alte Manuskripte – insbesondere der Bezug auf die untergegangene altdeutsche Dichtung – macht deutlich, dass Klopstock eine kulturelle Wiedererweckung anstrebt: Dichtung als nationale Erinnerung und moralische Orientierung.

In diesem Kontext tritt Kaiser Heinrich hervor – als Gegenbild zu Karl dem Großen, der zwar politisch triumphierte, aber kulturell blind blieb. Heinrich wird als wahrer Dichterkaiser stilisiert, der die Krone der Muse unterordnet und Tugend über Macht stellt. Die Zitate, die ihm Klopstock in den Mund legt, betonen seine Bereitschaft, Herrschaft aufzugeben, wenn sie nicht mit moralischer Integrität vereinbar ist. Diese Haltung steht sinnbildlich für das Ideal einer durch Geist und Ethik geadelten Führungspersönlichkeit.

Das Gedicht ist durchzogen von einem hohen, oft prophetischen Tonfall. Klopstock verwebt historische, religiöse und dichterische Bezüge zu einer kraftvollen Vision nationaler und geistiger Erneuerung. Die Muse wird dabei zum Maßstab aller Größe erhoben – größer als Ruhm, Krone oder Sieg. „Kaiser Heinrich“ ist somit nicht nur eine poetische Würdigung einer historischen Figur, sondern ein programmatisches Bekenntnis zur Macht der Dichtung und zur Verantwortung des Dichters im Dienst der Wahrheit und des Gemeinwohls.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.