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Der Lehrling der Griechen

Von

Wen des Genius Blick, als er gebohren ward,
Mit einweihendem Lächeln sah,
Wen, als Knaben, ihr einst Smintheus Anakreons
Fabelhafte Gespielinnen,
Dichtrische Tauben umflogt, und sein mäonisch Ohr
Vor dem Lerme der Scholien
Sanft zugirrtet, und ihm, daß er das Alterthum
Ihrer faltigen Stirn nicht säh,
Eure Fittige lieht, und ihn umschattetet,
Den ruft, stolz auf den Lorberkranz,
Welcher vom Fluche des Volks welkt, der Eroberer
In das eiserne Feld umsonst,
Wo kein mütterlich Ach bang bey dem Scheidekuß,
Und aus blutender Brust geseufzt,
Ihren sterbenden Sohn dir, unerbittlicher,
Hundertarmiger Tod, entreißt!
Wenn das Schicksal ihn ja Königen zugesellt,
Umgewöhnt zu dem Waffenklang,
Sieht er, von richtendem Ernst schauernd, die Leichname
Stumm und seelenlos ausgestreckt,
Segnet dem fliehenden Geist in die Gefilde nach,
Wo kein tödtender Held mehr siegt.
Ihn läßt gütiges Lob, oder Unsterblichkeit
Deß, der Ehre vergeudet, kalt!
Kalt der wartende Thor, der, des Bewunderns voll,
Ihn großäugichten Freunden zeigt,
Und der lächelnde Blick einer nur schönen Frau,
Der zu dunkel die Singer ist.
Thränen nach besserem Ruhm werden Unsterblichen,
Jenen alten Unsterblichen,
Deren daurender Werth, wachsenden Strömen gleich,
Jedes lange Jahrhundert füllt,
Ihn gesellen, und ihn jenen Belohnungen,
Die der Stolze nur träumte, weihn!
Ihm ist, wenn ihm das Glück, was es so selten that,
Eine denkende Freundin giebt,
Jede Zähre von ihr, die ihr sein Lied entlockt,
Künftiger Zähren Verkünderin!

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Gedicht: Der Lehrling der Griechen von Friedrich Gottlieb Klopstock

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Lehrling der Griechen“ von Friedrich Gottlieb Klopstock ist eine poetische Hommage an den wahren Dichter – nicht als Ruhmjäger oder Gefallsüchtigen, sondern als geistig Erwählten, der sich dem Erbe der antiken Dichtung verschreibt und jenseits irdischer Anerkennung nach wahrer Größe strebt. Der Titel verweist auf die Prägung durch die griechische Antike, speziell durch ihre dichterischen und mythischen Gestalten, deren Geist im modernen Dichter weiterlebt. Klopstock entwickelt hier ein idealisiertes Dichterbild, das sich gegen oberflächliche Ehre und kriegerischen Ruhm abgrenzt.

Bereits in der Einleitung wird der Dichter als von Geburt an von einem „Genius“ berührter Mensch dargestellt. Als Kind wird er von „Smintheus Anakreons / Fabelhafte[n] Gespielinnen“ – mythologische Musenwesen – umflattert und der lauten, trockenen Gelehrsamkeit („Scholien“) entzogen. Stattdessen wird ihm dichterisches Empfinden mitgegeben: Sinn für Klang, Bild und Gefühl. Diese Ursprünglichkeit, dieses Eingeweihtsein, macht ihn zu einem Berufenen, nicht zu einem Gelehrten im herkömmlichen Sinne.

Klopstock kontrastiert dieses Bild des Dichters mit dem des Eroberers, dessen Ruhm mit Gewalt und Tod verbunden ist. Der „Lorberkranz“ des Kriegers welkt im Angesicht des menschlichen Leids, das er verursacht. Der Dichter hingegen fühlt sich fremd in dieser Welt der „eisernen Felder“ und des „hundertarmigen Tods“. Selbst wenn das Schicksal ihn in königliche Kreise führt, bleibt er innerlich distanziert – sein Mitgefühl gilt den Opfern, nicht den Siegern.

Auch weltliche Anerkennung, Schmeichelei oder die Bewunderung durch „großäugichte Freunde“ oder „eine nur schöne Frau“ berühren ihn nicht. Der wahre Lohn des Dichters liegt nicht im äußeren Applaus, sondern im bleibenden Wert seines Werkes, das sich in das Strombett der Zeit einfügt – „wachsenden Strömen gleich“ – und sich durch die Jahrhunderte trägt. Unsterblichkeit wird hier nicht durch Namen oder Titel erreicht, sondern durch die tiefe, bleibende Wirkung auf die Seele.

Das Gedicht endet mit einem leisen, aber eindrucksvollen Bild: Wenn das Glück dem Dichter eine „denkende Freundin“ schenkt, wird jede Träne, die sie beim Lesen seiner Dichtung vergießt, zum Zeichen des künftigen Ruhms – nicht laut, nicht öffentlich, sondern tief, menschlich, echt. „Der Lehrling der Griechen“ ist somit ein poetisches Manifest gegen falsche Ideale und oberflächlichen Ruhm und zugleich eine Feier des reinen, wahren dichterischen Geistes – ein Ideal, das Klopstock selbst verkörpert sehen wollte.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.