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Der Gränzstein

Von

Wirke! Das ist das große Gesetz, in des Tempels
Tafel gehaun, dass es kund sey, und von Golde
In den parischen Stein gesenket,
Wie auf die Lilie wallt

Goldener Staub. Noch fassest du nicht des Gesetzes
Ganzen Verstand. Denn es steht war in der Halle
Nicht geschrieben, allein es fordert’s
Also der heilige Sinn,

Also, durchdenk’s arbeitend, durchdenk’s, wenn du ausruhst:
Gut sey, und stark, und es daure, was du wirkest!
„Daure?“ Daure! da liegt’s! weit wallst du
Irre; verliest du dich da,

Wende! Da schied’s durch Gränze sich ab; und der Gränzstein
Hub sich empor in die Wolken, unersteiglich
Dem, der emsig allein fürs Leben,
Heißen Geschäften sich weiht.

Einfluss der That, wenn jetzt sie geschieht! und nur wenig
Wirkung bleibt nach, nur ein Schatten, so verschwindet.
„Wenig?“ zürnst du. So währt’s was länger,
Bis sie gesunken verglimmt.

Die du bewogst, tun Eignes hinzu, und zuletzt wird
Dessen so viel, dass der Tropfen in dem Meere
Nun zerfließet, vergeht. „Verginge?“
In die Atome sich löst.

Nicht, dass dein Thun, verkenne mich nicht, mir nicht heilig
Wäre, vollführt’s, wes auch andre sich erfreuen:
Nicht verächtlich, wofern es dir nur
Frommet, verkenne mich nicht!

Könige sind weitwirkend, auch bleibt’s, wie ein Abend
Schatten; und doch muss auch dieser sich verlieren!
Ach die Handlung sinkt hin, und klimmt nicht
Über der Sonderung Stein.

Geist des Gesangs, was rufest du mir, und gebietest
Anderen Ton? O du kennest noch nicht ganz dich!
Bey Amphion! auch diese Saite
Stimmte der Grieche fürs Herz.

Könige sind weitwirkend, auch bleibt’s, wie ein Abend
Schatten; und doch muss auch dieser sich verlieren!
Ach die Handlung sinkt hin, und klimmt nicht
Über der Sonderung Stein.

Aber wenn, wem die Sterblichkeit ruft, noch, was wirket,
Hinter sich lässt, noch ein Denken in des Geistes
Werken, welches von Kraft, von Gutem
Voll, wo es waltet, uns hält:

Jenseit ist das der Höhe, die gränzt. Was es wirkte,
Wirket es stets, wie im Anfang, so von neuem:
Jahre fliehn; und es strömt sein Einfluss,
Wie der Beginn sich ergoss.

Da ist das Werk! und tönet nicht bloß, wie vollbrachte
Handlungen, nach. Wenn von diesen bis zum fernsten
Hall sich jede verlor, zum letzten
Lispel sich; redet es laut!

Nutzet, doch nicht, wie einst das Geschäft, nur an Einer
Stäte, zugleich an so vielen, als getrennte
Sich’s, nach Mühe, nach Lust, zu ihrer.
Muße Gefährten ersehn.

Rührt es, und wird die Rührung zu That; so durchwallt die
Ähnlichen Pfad mit der andern, die dem eignen
Quell entfloss. Und gelingt nicht diese
Rührung dem bleibenden oft?

Wirke! Das ist das große Gesetz, in der Halle
Marmor gehaun, dass es kund sey; und die Dauer
Liest der weisere mit, als stünd‘ es
Goldenes Gusses mit da.

Frey ist der Flug der Ode, sie kieset, wonach sie
Lüstet, und singt’s. Was verbeut ihr, dass sie leise
Schwebe, wenn sie der Schwung, der hoch jetzt
Steiget, itzt höher, nicht freut.

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Gedicht: Der Gränzstein von Friedrich Gottlieb Klopstock

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Gränzstein“ von Friedrich Gottlieb Klopstock entfaltet eine tiefgreifende poetisch-philosophische Reflexion über das menschliche Wirken, die Vergänglichkeit irdischer Taten und die Möglichkeit dauerhafter Wirkung durch geistige Kraft. Im Zentrum steht der Kontrast zwischen der vergänglichen Handlung – selbst bei Königen – und dem bleibenden Einfluss wahrer geistiger Schöpfung. Der „Gränzstein“ ist dabei ein zentrales Symbol: Er markiert die Grenze zwischen zeitlichem Tun und ewiger Wirkung.

Klopstock beginnt mit dem Appell „Wirke!“, das „große Gesetz“, das sinnbildlich in Marmor und Gold in einen Tempel eingemeißelt ist – ein ewiges Gebot. Doch dieses Wirken soll mehr sein als bloßes Tun: Es soll „dauren“, also Bestand haben. Der Text stellt infrage, wie dauerhaft gewöhnliches Handeln überhaupt sein kann. Selbst die Taten großer Männer, etwa Könige, hinterlassen nur „Abendschatten“, die schließlich verblassen. Der „Gränzstein“ erhebt sich wie eine metaphysische Schranke, die bloß äußerliches Wirken nicht zu überschreiten vermag.

Erst dort, wo ein Werk über das Momenthafte hinausweist – wo es aus dem Geist kommt, „voll von Kraft, von Gutem“ –, beginnt wahre Dauer. Solche Werke behalten ihren Einfluss, auch wenn alle äußeren Handlungen längst verklungen sind. Klopstock beschreibt diese Wirkung als etwas, das „redet […] laut“, während alles andere bereits zum bloßen „Lispeln“ geworden ist. Das geistige Werk durchdringt Zeit und Raum, es wirkt über Generationen hinweg – nicht beschränkt auf eine „Stätte“, sondern vielfach und überall dort, wo Menschen es aufnehmen.

Damit richtet sich Klopstocks Gedicht auch gegen eine oberflächliche Vorstellung von Ruhm oder Erfolg. Die Ode, der poetische Gesang, wird zum Träger dieses bleibenden Wirkens. Sie ist „frey“ in ihrem Flug, folgt keiner äußeren Regel, sondern dem inneren Drang. Gerade diese Freiheit macht ihre Wirkung so tief. Es ist das stille, aber nachhaltige Rühren des Geistes, das Handlungen nach sich zieht – nicht durch Befehl oder Macht, sondern durch Inspiration und Ergriffenheit.

„Der Gränzstein“ ist somit ein dichterisches Manifest für die Überlegenheit geistiger Schöpfung gegenüber äußerem Ruhm und vergänglicher Handlung. Klopstock erhebt das dichterische Werk – wie auch das ethische, geistige Wirken – über das bloße Tun. In einer Mischung aus Pathos, religiösem Ernst und philosophischer Tiefe verweist er auf eine höhere Form von Wirksamkeit, die nicht vergeht: jene, die das Herz bewegt, den Geist stärkt und das Gute in der Welt vermehrt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.