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Braga

Von

Säumst du noch immer an der Waldung auf dem Heerd‘, und schläfst
Scheinbar denkend ein? Wecket dich der silberne Reif
Des Decembers, o du Zärtling! nicht auf?
Noch die Gestirne des krystallnen Sees?

Lachend erblick‘ ich dich am Feuer, in des Wolfes Pelz,
Blutig noch vom Pfeil, welcher dem entscheidenden Blick,
In die Seite des Eroberers schnell
Folgte, dass nieder in den Strauch er sank.

Auf denn, erwache! Der December hat noch nie so schön,
Nie so sanft, wie heut, über dem Gefilde gestrahlt!
Und die Blume von dem nächtlichen Frost
Blühte noch niemals, wenn es tagte, so!

Neide mich! schon, von dem Gefühle der Gesundheit froh,
Hab‘ ich, weit hinab, weiss an dem Gestade gemacht
Den bedeckenden Krystall, und geschwebt
Eilend, als sänge der Bardiet den Tanz.

Unter dem flüchtigeren Fusse, vom geschärften Stahl
Leicht getragen, scholl schnelleres Getöne der Bahn!
Auf den Moosen in dem grünlichen See,
Floh mit vorüber, wie ich floh, mein Bild.

Aber nun wandelt‘ an dem Himmel der erhabne Mond
Wolkenlos herauf, nahte die Begeistrung mit ihm,
O wie trunken von den Mimer! Ich sah
Fern in den Schatten an dem Dichterhain

Braga! Es tönet‘ an der Schulter ihm kein Köcher nicht,
Aber unterm Fuss tönete, wie Silber, der Stahl,
Da gewandt er aus der Nacht in den Glanz
Schwebt‘, und nur leise den Krystall betrat.

Sing, es umkränzete die Schläfen ihm der Eiche Laub!
Sings, o Bardenlied, schimmernder bereifet war ihm
Der beschattende glasorische Kranz!
Golden sein Haar, und wie der Kranz bereift!

Feurig beseelet er die Saiten, und der Felsen lernts,
Denn die Telyn scholl! Tapfere belohnte sein Lied,
Und den Weisen! von den Ehren Walhalls
Rauscht‘ es in freudigerem Strophengang.

Ha, wie sie blutet‘, und den Adler aus der Wolke rief
Meine Lanze! Sangs, schwebete vorüber den Tanz
Des Bardiets wie in Orkanen, itzt schnell,
Langsamer jetzo mit gehaltnem Schwung.

Schlaget, ihr Adler, mit den Fittigen, und komt zum Mahl!
Trinket warmes Blut! Schwebete den Tanz des Bardiets
In dem schimmernden Gedüfte! So schön
Schwang sich Apollo Patareus nicht her!

Leichtere Spiele der Bewegungen begann er jetzt‘,
Leichtern Bardenton: Lehre, was ich singe, den Hain!
An dem Hebrus, wie der Grieche das träumt,
Über der Woge von Krystall erfand

Diese Beflüglungen des Stahles, so den Sturm ereilt,
Thrazens Orpheus nicht! eilete damit auf dem Strom
Zu Euridize nicht, hin! des Walhalls
Sänger, umdränget von Enherion,

Ioh, der Begeisterer des Barden und des Skalden, ich,
Tön‘ es, Telyn, laut! hör‘ es du am Hebrus! erfand,
Vor der Lanze, und dem Sturme vorbey
Siegend zu schweben! Und den schönen Sohn

Siphia’s lehrt‘ ich es! Wie blinken ihm sein Fuss und Pfeil!
Lehrts Tialf, dem nie einer in dem Laufe voran,
Wie des Zaubernden beseeltes Gebild,
Tönte! Da röthete der Zorn Tialf!

Lehrt‘ es den tapfersten der Könige des hohen Nord;
Dennoch floh vor ihm Russiens Elissif! Hätt‘ ihn
Denn geflohen der Unsterblichen Stolz,
Nossa denn, Thörin? Er entschwebt, sein Kranz

Rauscht wie von Westen, und es wehet ihm sein goldnes Haar!
Seiner Ferse Klang fernte sich hinab am Gebirg,
Bis er endlich in der Düfte Gewölk
Unter dem Hange des Gebirgs verschwand.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Braga von Friedrich Gottlieb Klopstock

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Braga“ von Friedrich Gottlieb Klopstock ist eine hymnisch-patriotische Dichtung, die Natur, Mythologie und heroische Geschichte auf visionäre Weise miteinander verbindet. Inmitten einer winterlichen Landschaft erwacht das lyrische Ich zu einer ekstatischen, fast trancehaften Erfahrung, in der es sich mit der mythischen Figur des Braga – dem nordischen Gott der Dichtung – verbindet. Die Handlung ist dabei weniger narrativ als vielmehr assoziativ: Es geht um Inspiration, Bewegung, Kampf und Dichtkunst – und um die Vereinigung all dieser Elemente in einer überzeitlichen, poetischen Erfahrung.

Der Einstieg des Gedichts kontrastiert Ruhe und Bewegung. Das lyrische Ich beobachtet zunächst eine schläfrige Gestalt am Feuer, ehe es selbst in die kalte, klare Winterwelt hinausdrängt. Der kristallene See, die Reifblumen, der silberne Glanz – all das wird zum Schauplatz einer Art dichterischem Tanz auf dem Eis. Klopstock spielt hier auf das Schlittschuhlaufen an, das zugleich als Metapher für poetische Leichtigkeit und Freiheit dient. Die Bewegung wird als ekstatischer Ausdruck des dichterischen Geistes dargestellt: „Eilend, als sänge der Bardiet den Tanz.“

In dieser ekstatischen Stimmung erscheint Braga, von Eichenlaub und Frost gekrönt, schwebend über das Eis. Die Verbindung von nordischer Mythologie mit der Eleganz des klassischen Liedes zeigt Klopstocks Bemühen, eine eigenständige deutsche, insbesondere nordische Dichtungstradition zu etablieren. Der Gott spielt auf der „Telyn“, einer walisischen Harfe, und sein Gesang preist Heldentum, Weisheit und Unsterblichkeit. Dabei verschmilzt das Musische mit dem Martialischen: Dichtung wird hier nicht als kontemplativer Akt verstanden, sondern als heroische, fast kriegerische Kraft.

In einer Reihe von Anrufungen und Preisungen werden mythische Figuren wie Orpheus, Tialf oder Siphias Sohn angerufen – allesamt Symbole für Schnelligkeit, Kraft, Dichtung und Sieg. Auch hier zeigt sich Klopstocks Verbindung von körperlicher Ertüchtigung (Lauf, Kampf, Tanz) mit geistiger Erhebung. Der Lauf auf dem Eis wird zur Allegorie dichterischer Inspiration, die allen irdischen Widerständen entflieht. Dabei verschmilzt nordische Mythologie mit klassischem Pathos und christlichem Tonfall – ein typisches Stilmittel Klopstocks.

„Braga“ ist ein Gedicht von großer stilistischer Kühnheit, das in der bildhaften, pathetischen Sprache der Aufklärung einen eigenen, national geprägten Dichtungsbegriff formuliert. Es geht um poetische Erweckung, um ein neues Selbstverständnis des Dichters als Heroen, dessen Gesang die Zeiten überdauert. Der Winter, der Tanz, die Götter und Helden – sie alle verschmelzen zu einer Vision des Dichtertums, in der Kunst, Bewegung und Mythos zu einer Einheit werden.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.