Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , , ,

An den Erlöser

Von

Ich hofft‘ es zu Dir, und ich habe gesungen,
Versöhner Gottes, des neuen Bundes Gesang!
Durchlaufen bin ich die furchtbare Laufbahn,
Und Du hast mir mein Straucheln verziehn!

Beginn den ersten Harfenlaut,
Heißer, geflügelter, ewiger Dank!
Beginn, beginn, mir strömet das Herz,
Und ich weine vor Wonne!

Ich fleh‘ um keinen Lohn, ich bin schon belohnt
Durch Engelfreuden, wenn ich Dich sang,
Der ganzen Seele Bewegung
Bis hin in die Tiefen ihrer ersten Kraft,

Erschüttrung des Innersten, daß Himmel
Und Erde mir schwanden,
Und flogen die Flüge nicht mehr des Sturms, durch sanftes Gefühl,
Das, wie des Lenztags Frühe, Leben säuselte.

Der kennt nicht meinen ganzen Dank,
Dem es da noch dämmert,
Daß, wenn in ihrer vollen Empfindung
Die Seele sich ergeußt, nur stammeln die Sprache kann.

Belohnt bin ich, belohnt! Ich habe gesehn
Die Thräne des Christen rinnen
Und darf hinaus in die Zukunft
Nach der himmlischen Thräne blicken!

Durch Menschenfreuden auch. Umsonst verbürg‘ ich vor Dir
Mein Herz, der Ehrbegierde voll.
Dem Jünglinge schlug es laut empor; dem Manne
Hat es stets, gehaltner nur, geschlagen.

Ist etwa ein Lob, ist etwa eine Tugend,
Dem trachtet nach! Die Flamm‘ erkor ich zur Leiterin mir.
Hoch weht die heilige Flamme voran und weiset
Dem Ehrbegierigen besseren Pfad.

Sie war es, sie that’s, daß die Menschenfreuden
Mit ihrem Zauber mich nicht einschläferten;
Sie weckte mich oft der Wiederkehr
Zu den Engelfreuden.

Sie weckten mich auch mit lautem, durchdringenden Silberton,
Mit trunkner Erinnrung an die Stunden der Weihe,
Sie selber, sie selber, die Engelfreuden,
Mit Harf‘ und Posaune, mit Donnerruf.

Ich bin an dem Ziel, an dem Ziel! und fühle, wo ich bin,
Es in der ganzen Seele beben! So wird es (ich rede
Menschlich von göttlichen Dingen) uns einst, Ihr Brüder Deß,
Der starb und erstand, bei der Ankunft im Himmel sein!

Zu diesem Ziel hinauf hast Du,
Mein Herr und mein Gott,
Bei mehr als einem Grabe mich
Mit mächtigem Arme vorübergeführt!

Genesung gabst Du mir, gabst Muth und Entschluß
In Gefahren des nahen Todes!
Und sah ich sie etwa, die schrecklichen unbekannten,
Die weichen mußten, weil Du der Schirmende warst?

Sie flohen davon, und ich habe gesungen,
Versöhner Gottes, des neuen Bundes Gesang!
Durchlaufen bin ich die furchtbare Laufbahn!
Ich hofft‘ es zu Dir!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: An den Erlöser von Friedrich Gottlieb Klopstock

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An den Erlöser“ von Friedrich Gottlieb Klopstock ist ein tief religiöses, hymnisches Bekenntnis, das die persönliche Dankbarkeit des lyrischen Ichs gegenüber Christus, dem „Versöhner Gottes“, ausdrückt. Der Text vereint religiöse Ekstase, spirituelle Reflexion und autobiografische Elemente in einer emotional überhöhten Sprache, wie sie typisch für die religiöse Lyrik Klopstocks ist. Es handelt sich um eine Art geistliches Resümee eines Lebens im Zeichen des Glaubens – durchzogen von Prüfungen, aber stets getragen vom Vertrauen auf göttliche Führung.

Zentral ist das Motiv der „furchtbaren Laufbahn“, die das lyrische Ich durchlaufen hat – ein Bild für ein schweres, von Zweifeln, Krankheiten und Gefahren begleitetes Leben. Doch in all diesen Prüfungen war Christus der „Schirmende“, der „Versöhner“, der Trost, Kraft und letztlich Heil schenkte. Das Straucheln wird nicht als Scheitern, sondern als menschlicher Moment in einem göttlich begleiteten Weg dargestellt. Der Glaube wird dabei nicht als lehrhafte Erkenntnis, sondern als existenzielle Erschütterung beschrieben – ein „Beben“ in der „ganzen Seele“, das Himmel und Erde verschwimmen lässt.

Die Sprache ist stark gefühlsbetont und ausdrucksvoll: Bilder wie „trunkne Erinnrung“, „Engelfreuden“, „Donner­rufe“ und „Flamm’“ vermitteln eine religiöse Leidenschaft, die über das rein Rationale hinausgeht. Besonders eindrücklich ist die Darstellung des dichterischen Schaffens als spirituelle Handlung: Das Singen wird selbst zur Form der Erlösung, zur Verbindung mit dem Göttlichen. In diesem Sinne ist der Lohn des Dichters nicht materieller Art, sondern das Erleben der „Engelfreuden“ und das Wissen um die gerettete Seele.

Trotz der Rückschau ist das Gedicht stark auf die Zukunft gerichtet – auf das „Ziel“, das der Himmel bedeutet. Die Vision der jenseitigen Erlösung wird dabei nicht abstrakt geschildert, sondern als konkret erfahrbare Hoffnung, die bereits in diesem Leben ihre Wirkung entfaltet. Besonders im letzten Drittel des Gedichts wird deutlich, wie eng Klopstocks religiöses Erleben mit persönlichen Erfahrungen von Krankheit, Todesnähe und Rettung verknüpft ist – der Glaube erscheint als innerer Halt, der sich gerade in existenziellen Grenzsituationen bewährt.

„An den Erlöser“ ist damit nicht nur ein religiöses Gedicht im klassischen Sinn, sondern auch ein poetisches Zeugnis innerer Läuterung, existenzieller Dankbarkeit und gläubiger Ekstase. Klopstock verbindet individuelle Erfahrung mit universaler christlicher Hoffnung und schafft ein eindringliches Bild des gotterfüllten Lebens – getragen von Lobpreis, emotionaler Tiefe und einer fast mystischen Nähe zur himmlischen Welt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.