Rebentränen
Tränen weint die arme Rebe, und der Lenz doch brach heran.
Arme! hat der schlimme Winter dir ein Leid wohl angetan?
Nicht vor Schmerzen, spricht die Rebe, wein‘ ich, nein! von Lust bewegt,
Weil ich fühle, wie die Blüte sich in meinem Innern regt.
Tränen weinet eine Mutter, die auch Wonnetränen sind,
Die zum ersten Male fühlet in sich ihrer Liebe Kind.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Rebentränen“ von Justinus Kerner ist eine allegorische Darstellung von Schmerz und Freude, die miteinander verknüpft sind. Die Rebe, die zu Beginn des Gedichts Tränen vergießt, scheint zu leiden. Doch im Verlauf wird klar, dass diese Tränen nicht aus Schmerz, sondern aus einer inneren Freude resultieren. Die Rebe spürt die „Lust“ und das Aufkeimen der Blüte in ihrem Innern, was eine Metapher für das Leben und die schöpferische Kraft ist, die trotz des „schlimmen Winters“ und der Dunkelheit des Lebens immer wieder neu erwacht.
Der Vergleich der Rebe mit einer Mutter, die ebenfalls Tränen vergießt, aber aus einer anderen, liebevollen Perspektive heraus, vertieft die Bedeutung der Tränen. Die Mutter weint nicht aus Kummer, sondern aus Freude über die Geburt ihres Kindes, das ein neues Leben in ihr heranreift. Die „Wonnetränen“ der Mutter und der Rebe verweisen auf die untrennbare Verbindung von Leid und Freude, die in der Natur und im menschlichen Leben gleichermaßen existiert.
Das Gedicht thematisiert die duale Natur von Emotionen und Erfahrungen: Schmerz kann mit Freude und Lust verbunden sein, und die Tränen sind nicht nur Ausdruck von Leid, sondern auch von Erfüllung und Leben. Der Winter, der als Zeit der Kälte und des Verzichts dargestellt wird, ist nicht das Ende, sondern der Vorbote des Frühjahrs und des Neubeginns. Das Bild der Tränen wird so zu einem Symbol für den Kreislauf des Lebens, der stets in einem ständigen Wechsel von Schmerz und Freude, Tod und Neubeginn, verläuft.
Insgesamt zeigt das Gedicht eine tiefe Verbundenheit mit der Natur und der menschlichen Erfahrung. Kerner verdeutlicht, dass in jedem Leid eine verborgene Freude liegt und dass der Schmerz Teil des natürlichen Prozesses des Lebens ist. Die Tränen der Rebe und der Mutter sind daher Ausdruck einer universellen Erfahrung, die sowohl die Natur als auch den Menschen umfasst.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.