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Die Jagd

Von

Hell der Himmel ist erleuchtet,
Sonnenstrahlen hin und her,
Frischer Tau den Rasen feuchtet,
Silbern glänzt das Jagdgewehr.

Eine Jagd ist’s! Blutig jagend
Eilt der Jäger durch den Wald,
Für das Böse Alles wagend,
Mordruf weit und breit erschallt!

Aufgescheucht flieh’n junge Rehe
Von dem blut’gen Schauplatz fort,
Doch der Jäger Todesnähe
Eilet nach von Ort zu Ort.

Mit der Hast, dem wilden Grimme,
Der das Böse gern beschönt,
Der betäubend jene Stimme
Ernsten Mahnens wild verhöhnt.

Bei dem blut’gen Reh daneben
Steht der Schütze, blutig rot:
„Räche Gott, mein schuldlos Leben“ –
Fleht das Tier vor seinem Tod.

Trotzig glänzt des Waidmanns Miene
Bei des jungen Rehes Blut
Und es war, als wenn’s ihm schiene
Heute hätt‘ er Glück und Gut! –

„O, dass ich den Bock erwische“
Und so stürzt er rasend fort,
Und bleibt hängen im Gebüsche,
Fremdes Ross, es tummelt dort;

Schleift den Jäger zu der Heide,
Wo das Tier getroffen liegt,
Still am Boden liegen Beide,
Schuldlos Reh hat obsiegt!

Endlich macht es eine Runde,
Endlich steht das wilde Ross,
Doch in selbiger Sekunde
Geht des Jägers Büchse los!

Jäger schaut’s mit stierem Blicke,
Schmerz durchzuckt sein Angesicht:
Jäger, traue Deinem Glücke,
Deiner wilden Jagdlust nicht! –

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Gedicht: Die Jagd von Friederike Kempner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Jagd“ von Friederike Kempner ist eine eindringliche Parabel über Gewalt, Schuld und die Selbstüberschätzung des Menschen. Es beginnt als klassische Jagdszene, entwickelt sich jedoch rasch zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Jagdlust, Grausamkeit und moralischer Blindheit. Kempner verleiht dem Tier eine Stimme, verkehrt das Machtverhältnis zwischen Jäger und Beute und führt so zu einer unerwarteten, fast ironischen Wendung.

Zunächst wird die Szene in heller, idyllischer Natur eingeführt: Der Himmel ist klar, die Sonne strahlt, der Tau liegt auf dem Rasen – eine friedliche Atmosphäre, die im Kontrast zur brutalen Handlung der Jagd steht. Schon in der zweiten Strophe kippt die Stimmung. Der Jäger erscheint als getriebene Figur, die in „blutiger Jagd“ durch den Wald hetzt. Das Motiv des „Mordrufs“ macht klar, dass es hier nicht nur um Tierjagd geht, sondern um eine tiefere, fast metaphysische Dimension von Gewalt.

Besonders eindrucksvoll ist die Personifizierung des Rehs, das vor seinem Tod spricht: „Räche Gott, mein schuldlos Leben“. Diese Zeile verschiebt die Perspektive radikal – das Tier wird zum leidenden, unschuldigen Wesen mit eigener Stimme, während der Jäger zum moralisch fragwürdigen Täter wird. Sein Triumphgefühl nach dem Töten – „Heute hätt‘ er Glück und Gut!“ – wirkt angesichts der Bitte des sterbenden Rehs umso zynischer.

Doch der Jäger wird selbst zum Opfer seiner Jagdlust. In seinem blinden Eifer verfängt er sich im Gebüsch, wird vom eigenen Pferd geschleift und kommt zu Fall – neben dem toten Reh. Die Symbolik dieser Szene ist deutlich: Mensch und Tier liegen gleich still am Boden, die Schuldlosigkeit des Rehs obsiegt über die vermessene Gewalt des Menschen.

Die letzte Szene schließt das Gedicht mit einer düsteren Pointe: Die Büchse löst sich noch, der Jäger blickt starr – Schmerz durchzuckt ihn. In der Mahnung „Jäger, traue Deinem Glücke, / Deiner wilden Jagdlust nicht!“ bringt Kempner die moralische Botschaft auf den Punkt. Die Jagd steht hier nicht mehr für Sport oder Tradition, sondern für eine menschliche Neigung zur Selbstzerstörung durch Maßlosigkeit und Verrohung. Das Gedicht ist damit nicht nur ein Tiergedicht oder Jagdbild, sondern eine kraftvolle ethische Erzählung über Gewalt, Reue und die Illusion von Kontrolle.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.