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Lob der schwarzen Kirschen

Von

Des Weinstocks Saftgewächse ward
Von tausend Dichtern laut erhoben;
Warum will denn nach Sängerart
Kein Mensch die Kirsche loben?

O die karfunkelfarbne Frucht
In reifer Schönheit ward vor diesen
Unfehlbar von der Frau versucht,
Die Milton hat gepriesen.

Kein Apfel reizet so den Gaum
Und löschet so des Durstes Flammen;
Er mag gleich vom Chineser-Baum
In ächter Abkunft stammen.

Der ausgekochte Kirschensaft
Giebt aller Sommersuppen beste,
Verleiht der Leber neue Kraft
Und kühlt der Adern Aeste;

Und wem das schreckliche Verboth
Des Arztes jeden Wein geraubet,
Der misch ihn mit der Kirsche roth
Dann ist er ihm erlaubet;

Und wäre seine Lunge wund,
Und seine ganze Brust durchgraben:
So darf sich doch sein matter Mund
Mit diesem Tranke laben.

Wenn ich den goldnen Rheinstrandwein
Und silbernen Champagner meide,
Dann Freunde mischt mir Kirschblut drein
Zur Aug- und Zungenweide:

Dann werd‘ ich eben so verführt,
Als Eva, die den Baum betrachtet,
So schön gewachsen und geziert,
Und nach der Frucht geschmachtet.

Ich trink und rufe dreymal hoch!
Ihr Dichter singt im Ernst und Scherze
Zu oft die Rose, singet doch
Einmal der Kirschen Schwärze!

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Gedicht: Lob der schwarzen Kirschen von Anna Louisa Karsch

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Lob der schwarzen Kirschen“ von Anna Louisa Karsch ist eine augenzwinkernde, lebendige Hymne auf eine oft unterschätzte Frucht: die Kirsche. In einem Ton, der zugleich humorvoll, schwärmerisch und leicht ironisch ist, erhebt Karsch die Kirsche zur würdigen Rivalin des viel besungenen Weins und fordert andere Dichter auf, sich ihr in ihrer Begeisterung anzuschließen.

Schon zu Beginn stellt sie fest, dass der Wein unzählige Lobgesänge erhalten habe, während die Kirsche kaum beachtet werde – ein poetisches Unrecht, das sie nun selbst zu korrigieren sucht. Mit schwungvoller Sprache preist sie die Schönheit und sinnliche Verlockung der Frucht, die sie sogar in Verbindung mit der biblischen Eva und Miltons Paradiesdichtung bringt. Die Kirsche wird nicht nur als Genussmittel dargestellt, sondern als Symbol der Versuchung und des sinnlichen Verlangens.

Karsch hebt nicht nur den Geschmack, sondern auch die medizinischen Qualitäten der Kirsche hervor. Sie beschreibt sie als wohltuend für Leber und Adern, als lindernd für Kranke, ja sogar als legitime Alternative zum verbotenen Wein. Diese Argumentation verleiht dem Gedicht eine bodenständige, fast volksmedizinische Note, die gleichzeitig das Loblied erweitert und erdet.

In der Gegenüberstellung mit teuren Weinen wie dem „Rheinstrandwein“ und dem „Champagner“ zeigt sich eine bewusste Entscheidung für das Einfache und dennoch Edle. Die Kirsche wird zur demokratischen Frucht – erschwinglich, gesund, schön, wohlschmeckend – und somit zu einer poetischen Entdeckung, die durch ihre „Schwärze“ besticht, wo sonst die Rose für Farbe und Duft herhalten muss.

„Lob der schwarzen Kirschen“ ist ein Beispiel für Anna Louisa Karschs Fähigkeit, Alltagsgegenstände und natürliche Gaben mit poetischer Würde zu versehen. Es ist ein verspieltes, doch ernst gemeintes Plädoyer für das vermeintlich Kleine – und ein kreativer Aufruf, den poetischen Blick zu erweitern und auch das Unbesungene mit lyrischer Aufmerksamkeit zu ehren.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.