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Elegie auf die Geduld

Von

Nein länger kann ichs nicht ertragen,
Das ist zu viel, ist gar zu schwer,
Das müßte mich zu Boden schlagen,
Wenn ich die Stärke selber wär.

Ich habe die Geduld verloren,
Die große Leidenträgerin,
Die bei mir war, als ich gebohren,
Und auferzogen worden bin;

Die nimmer noch von mir gewichen
In mancher jämmerlichen Noth:
Ach die Geduld ist nun verblichen,
Der falsche Milon schlug sie todt.

Mit einem Herzverachtungsstreiche
Ward sie getroffen, und mein Herz
Weint Thränen über ihrer Leiche,
Erstarret unter seinem Schmerz.

Der stolze, spröde Milon sagte
Mir Veilchen zu, und täuschte mich
Viel Tage lang, so oft ich fragte,
Mit Aug und Munde kümmerlich.

Zuletzt kam er in meine Hütte,
Trug Veilchen bei sich, schenkte sie,
Ohn Ihren Wink, ohn ihre Bitte,
Der kleinen jungen Corally.

O du Verräther meiner Treue,
Verächter meiner Zärtlichkeit,
Ich übergebe dich der Reue,
Und mich der Leidvergessenheit.

Ich werde dich noch immer denken,
Ob du die Seele gleich verwarfst,
Von der du nie mit Goldgeschenken
Ein sanftes Lächeln kaufen darfst;

Auch werd ich stets dich sehen wollen,
Ob meine Lieder gleich hinfort
Von meiner Liebe schweigen sollen,
Von ihr hörst du das letzte Wort.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Elegie auf die Geduld von Anna Louisa Karsch

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Elegie auf die Geduld“ von Anna Louisa Karsch ist ein leidenschaftlicher, klagender Abgesang auf die Geduld als innere Kraft – und zugleich eine Anklage gegen einen geliebten Mann, der durch seine Untreue das letzte Band zwischen dem lyrischen Ich und seiner emotionalen Ausdauer zerschneidet. In der Tradition der Elegie ist der Ton schmerzerfüllt, rückblickend und von tiefer Verletzung geprägt.

Die erste Strophe formuliert sofort den Bruch: Die Last des Schmerzes ist zu groß, selbst für ein starkes Herz. In der folgenden Darstellung wird die Geduld als treue Lebensbegleiterin personifiziert – eine „große Leidenträgerin“, die von Geburt an beim lyrischen Ich war und selbst in tiefster Not nicht wich. Diese Konzeption verleiht dem Gedicht eine dramatische Wendung, als die Geduld nicht etwa von selbst schwindet, sondern durch die Tat eines Mannes – Milon – „erschlagen“ wird. Die Sprache ist bildhaft und körperlich: ein tödlicher Schlag, ein Herz, das „erstarret“ im Schmerz.

Der Kern der Anklage liegt in der Treulosigkeit Milons. Er hatte Veilchen versprochen – ein Symbol der Zärtlichkeit und vielleicht auch der Reinheit –, aber diese am Ende einer anderen, der jungen Corally, geschenkt. Die Täuschung geschieht nicht abrupt, sondern quälend schleichend: über viele Tage hinweg, mit Blicken und Worten, die Hoffnung machten. Gerade diese Verzögerung steigert den Schmerz und das Gefühl des Verrats.

Trotz des ausgesprochenen Abschieds von der Geduld und der Liebe erklärt das lyrische Ich, dass Milon unauslöschlich in der Erinnerung bleibt. Auch wenn die Liebe nicht mehr besungen werden soll – ein stilles, bleibendes inneres Bild des Geliebten wird weiterexistieren. Damit endet das Gedicht mit einem ambivalenten Ton: zwischen endgültiger Trennung und anhaltender Sehnsucht.

„Elegie auf die Geduld“ ist ein intensives Gefühlsbild von Liebesenttäuschung, das die emotionale Erschütterung der Sprecherin glaubhaft und mit dichterischer Kraft ausdrückt. Karsch verbindet in klarer Sprache psychologisches Gespür mit symbolischer Verdichtung – und schafft so ein bewegendes Porträt der Verletzlichkeit hinter der poetischen Stimme.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.