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Vesper

Von

Die Abendglocken klangen
Schon durch das stille Tal,
Da saßen wir zusammen
Da droben wohl hundertmal.

Und unten wars so stille
Im Lande weit und breit,
Nur über uns die Linde
Rauscht′ durch die Einsamkeit.

Was gehn die Glocken heute,
Als ob ich weinen müßt?
Die Glocken, die bedeuten,
Daß meine Lieb gestorben ist!

Ich wollt, ich lag begraben
Und über mir rauschte weit
Die Linde jeden Abend
Von der alten, schönen Zeit!

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Gedicht: Vesper von Joseph von Eichendorff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Vesper“ von Joseph von Eichendorff ist eine melancholische Reflexion über Verlust und Trauer, eingebettet in eine idyllische Naturkulisse. Der Titel „Vesper“ (Abendgebet) gibt bereits den Rahmen vor und deutet auf eine besinnliche Stimmung hin, die durch das Läuten der Abendglocken weiter verstärkt wird. Das Gedicht erzählt von der Erinnerung an eine vergangene Zeit der Zweisamkeit, die abrupt durch den Tod der geliebten Person beendet wurde.

Die erste Strophe beschreibt die vertraute Szene des Zusammenseins, wobei das „droben“ auf eine erhöhte Position und somit auf eine besondere Verbundenheit mit der Natur hindeutet. Die zweite Strophe verstärkt die Stille der Umgebung, die durch das Rauschen der Linde – einem Symbol für Ruhe und Beständigkeit – unterbrochen wird. Dieser Kontrast zwischen der äußeren Stille und der inneren Unruhe des lyrischen Ichs wird durch die Frage der dritten Strophe aufgebrochen. Die Abendglocken, die eigentlich Frieden und Geborgenheit verheißen sollten, wirken nun wie ein düsterer Vorbote des Todes.

Die letzte Strophe drückt den Wunsch nach dem Tod aus, der eine Auflösung des Schmerzes und eine Wiedervereinigung mit der Verstorbenen bedeutet. Die Vorstellung, unter der Linde begraben zu liegen, symbolisiert die Sehnsucht nach ewiger Ruhe und nach dem Wiederaufleben der gemeinsamen Erinnerungen. Das Rauschen der Linde wird hier zu einem tröstenden Element, das an die „alte, schöne Zeit“ erinnert. Es ist ein sanftes Echo der Vergangenheit, das die Trauer begleitet und gleichzeitig die Hoffnung auf ein Weiterleben im Gedächtnis wachhält.

Eichendorff nutzt die Natur als Spiegelbild der menschlichen Seele. Die sanfte Landschaft dient als Hintergrund für die tiefen Gefühle des lyrischen Ichs und verstärkt die emotionale Wirkung des Gedichts. Die klaren Bilder und die einfache Sprache erzeugen eine unmittelbare Vertrautheit, während die Metaphern, wie das Rauschen der Linde, eine tiefe Sehnsucht nach Trost und Geborgenheit ausdrücken. Das Gedicht ist somit ein ergreifendes Zeugnis der Liebe, des Verlustes und des Wunsches nach ewiger Ruhe.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.