Dichter sprechen
Dichter sprechen:
Nicht zu der Sonnen frühen Reise,
 Nicht wenn die Abendwolken landen,
 Euch Kindern, weder laut noch leise,
 Ja, kaum uns selber seis gestanden,
 Auf welch geheimnisvolle Weise
 Dem Leben wir den Traum entwanden
 Und ihn mit Weingewinden leise
 An unsres Gartens Brunnen banden.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Dichter sprechen“ von Hugo von Hofmannsthal ist eine kurze, aber tiefgründige Reflexion über die schöpferische Tätigkeit des Dichters und die geheimnisvolle Natur der Poesie. Es offenbart eine introspektive Auseinandersetzung mit dem Entstehungsprozess von Kunst und dem Verhältnis des Dichters zur Welt.
Die erste Strophe thematisiert die Undurchsichtigkeit der Inspiration. Die Dichter, so die Kernaussage, sind sich selbst nicht völlig bewusst, wie sie dem Leben den „Traum entwanden“. Die Metaphern von „Sonnen frühen Reise“ und „Abendwolken“ deuten auf die zyklische Natur des Lebens und die Vergänglichkeit hin, während die Dichter in ihrem Schaffen etwas Unvergängliches – den Traum – aus dieser Welt herausziehen. Die Verwendung von „geheimnisvolle Weise“ unterstreicht das Rätselhafte und Unerklärliche, das dem kreativen Prozess innewohnt.
Die Sprache des Gedichts ist geprägt von einer gewissen Zurückhaltung, die sich in Ausdrücken wie „weder laut noch leise“ und „kaum uns selber seis gestanden“ zeigt. Diese verhaltene Ausdrucksweise unterstreicht die Ehrfurcht vor der Quelle der Inspiration und das Bewusstsein der Dichter, dass ihre Kunst nicht vollständig zu erfassen ist. Die abschließenden Verse beschreiben, wie der „Traum“ durch „Weingewinden leise“ an den Brunnen des Gartens gebunden wird. Dieses Bild symbolisiert die Verbindung zwischen der kreativen Imagination und der Welt, in der sie Gestalt findet. Der „Garten“ könnte die menschliche Erfahrung oder die Kunst selbst repräsentieren, in der der Traum verankert und bewahrt wird.
Die Aussage des Gedichts ist vielschichtig. Es betont die Unnahbarkeit und Geheimnisse des schöpferischen Prozesses, sowie die besondere Rolle der Dichter, die als Vermittler zwischen dem Traum und der Wirklichkeit fungieren. Gleichzeitig ist die Poesie hier ein Akt der Verankerung, der Verbindung, der Konservierung von etwas, das sonst der Vergänglichkeit anheimfallen würde. Das Gedicht ist eine stille Hommage an die Mysterien der Kunst und die paradoxe Fähigkeit der Dichter, dem Unfassbaren Ausdruck zu verleihen.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.