An lichtgewobener Kette
An lichtgewobener Kette muß ich hängen
Aus hohen Himmeln in das trübe Leben,
Genötigt hin und her zu schweben,
Weil sanfte Ätherwellen mich bedrängen.
Man haucht mich an mit Worten und mit Klängen,
Und schon will meine Flügelwaage beben.
Um die Erschütterungen aufzuheben,
Dreh ich mich in den ewigen Gesängen.
So sieht man wohl in frommen Kemenaten
Aus Watte und aus Werg an einem Faden
Die Geistestaube schweben im Geviert.
Sie lauschet unter Kerzen und Gebeten
Den sieben Gaben und den scheuen Reden,
Dieweil ein Krönlein ihre Haube ziert.
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „An lichtgewobener Kette“ von Hugo Ball zeichnet ein Bild der existenziellen Gefangenschaft und der Sehnsucht nach Freiheit, eingebettet in eine stark bildhafte Sprache und eine Atmosphäre von Schwerelosigkeit und religiöser Andacht. Der Sprecher des Gedichts, möglicherweise eine allegorische Figur, wird durch eine „lichtgewobene Kette“ an das irdische Dasein gebunden und erlebt dieses als ein „trübes Leben“. Die Verwendung des Wortes „Kette“ deutet auf eine Fesselung hin, jedoch die Bezeichnung „lichtgewoben“ lässt die Verbindung zugleich als etwas Subtiles und fast Transzendentes erscheinen. Es ist eine Bindung, die nicht erdrückend, sondern eher sanft ist, doch dennoch die Bewegung und die Freiheit des Sprechers einschränkt.
Die Struktur des Gedichts spiegelt diese innere Zerrissenheit wider. Die ersten vier Verse beschreiben das Gefühl der Gefangenschaft und der äußeren Einflüsse, die den Sprecher in Bewegung setzen. „Sanfte Ätherwellen“ und „Worte und Klänge“ üben einen sanften Druck aus, der das Gleichgewicht des Sprechers stört und ihn zum Schweben zwingt. Die folgenden vier Verse versuchen, diesem Zustand zu entkommen, indem sie sich in „ewigen Gesängen“ wiegen und versuchen, die „Erschütterungen aufzuheben“. Dies kann als ein Akt der Kontemplation oder des Rückzugs in die Kunst verstanden werden, als ein Versuch, Trost und Stabilität in der Schönheit und Beständigkeit der Musik zu finden.
Die letzte Strophe enthüllt das Bild einer „Geistestaube“, die in einer „frommen Kemenate“ an einem Faden schwebt. Diese Metapher verdichtet die vorherigen Bilder und vergleicht den Sprecher mit einem religiösen Symbol, das zwischen irdischem und himmlischem Dasein gefangen ist. Die Taube, verziert mit einem „Krönlein“, symbolisiert Reinheit und Unschuld, während sie gleichzeitig den „sieben Gaben“ und „scheuen Reden“ lauscht, was auf das Streben nach spiritueller Erkenntnis und die Auseinandersetzung mit religiösen Themen hindeutet. Die Umgebung aus „Kerzen und Gebeten“ verstärkt die religiöse Atmosphäre und deutet auf eine Suche nach Sinn und Erlösung hin.
Insgesamt ist das Gedicht eine Reflexion über die menschliche Existenz als eine zwischen Freiheit und Gebundenheit, zwischen dem Irdischen und dem Spirituellen oszillierende Erfahrung. Ball nutzt eine bildhafte Sprache, um diese Spannung auszudrücken. Die „lichtgewobene Kette“ symbolisiert eine subtile, aber dennoch spürbare Bindung an die Welt, während die Taube ein Sinnbild für die Sehnsucht nach Transzendenz und Freiheit darstellt. Das Gedicht ist somit ein Aufruf zur Reflexion über die eigene Existenz und die Suche nach dem Sinn des Lebens inmitten von äußeren Einflüssen und inneren Kämpfen.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.