Madeira
Madeira blaut, vom Ozean umschrieben,
Zuerst entdeckt von einem Liebespaare,
Das Vaterfluch vom heimischen Altare
Auf leichtem Kahn durchs wilde Meer getrieben.
Hier starben sie; die schönen Leichen blieben
Bewacht von Elfen auf umblühter Bahre,
Bis neue Kolonieen spätrer Jahre
Den Hain der Liebenden in Trümmer hieben.
Erzürnt erhob ein Waldbrand seine Flügel,
Die ganze Insel ward zum Aschenhügel,
Und aus der Asche wieder sproßten Reben.
So ward ein Becher jetzt das Felsgesteine;
Madeira ward ein Becher edler Weine,
Worin noch jener Liebe Küsse beben.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Madeira“ von Hermann Lingg erzählt in einer kurzen, prägnanten Form die Geschichte einer Insel, ihrer Entdeckung, ihrer Tragödie und ihrer Wiedergeburt in Form eines edlen Weines. Die Interpretation des Gedichts offenbart eine vielschichtige Symbolik, die von der Unsterblichkeit der Liebe über Zerstörung und Neuanfang bis hin zur transformative Kraft der Natur reicht.
Die ersten beiden Strophen bilden den ersten Teil der Geschichte. Die Insel Madeira, „vom Ozean umschrieben“, wird als Schauplatz einer romantischen Tragödie eingeführt. Ein Liebespaar, von einem Vaterfluch verfolgt, flieht „auf leichtem Kahn durchs wilde Meer“ und findet auf Madeira den Tod. Ihr Tod wird jedoch nicht als vollständiges Ende dargestellt, sondern als Übergang, denn ihre „schönen Leichen blieben / Bewacht von Elfen“. Dies deutet auf eine transzendente, unsterbliche Ebene der Liebe hin, die über den Tod hinaus Bestand hat. Die „Trümmer“ durch die späteren Kolonien zeigen die Vergänglichkeit menschlicher Schöpfungen, die der Natur gegenüber machtlos sind.
Der zweite Teil des Gedichts konzentriert sich auf die Zerstörung und den darauffolgenden Neubeginn. Ein „Waldbrand“ vernichtet die Insel, verwandelt sie in einen „Aschenhügel“. Diese Zerstörung, die durch die Erzählung metaphorisch dargestellt wird, kann als Reinigung oder als Ausdruck der unbändigen Naturgewalten interpretiert werden. Bemerkenswert ist, dass aus der Asche „wieder sproßten Reben“, was die zyklische Natur von Leben und Tod, Zerstörung und Wiedergeburt unterstreicht. Hier zeigt sich ein Hoffnungsschimmer, der verdeutlicht, dass selbst aus dem größten Leid neues Leben entstehen kann.
Die letzte Strophe vollzieht den Wandel und die Metamorphose der Insel. Das Felsgestein wird zu einem „Becher edler Weine“, dem Madeira-Wein. Dieser Wein wird zum Symbol der transformierten Insel, in dem die Erinnerung an die Liebe des Paares und die Geschichte der Insel weiterlebt. „Worin noch jener Liebe Küsse beben“ veranschaulicht die Unsterblichkeit der Liebe und die Erinnerung an die verlorene Vergangenheit, die in der Essenz des Weines fortbesteht. Lingg verbindet so auf poetische Weise Zerstörung, Wiedergeburt und die ewige Kraft der Liebe, die letztlich in der Herstellung und dem Genuss des Weines weiterlebt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.