V. Von den elben
I
Von den elben wirt entsehen vil manic man,
sô bin ich von grôzer liebe entsên
von der besten, die ie dehein man ze vriunt gewan.
wil aber sî der umbe mich vên
Und ze unstaten stên,
mac si danne rechen sich
und tuo, des ich si bite. sô vreut si sô sêre mich,
daz mîn lîp vor wunnen muoz zergên.
II
Sî gebiutet und ist in dem herzen mîn
vrowe und hêrer, danne ich selbe sî.
hei wan muoste ich ir alsô gewaltic sîn,
daz si mir mit triuwen waere bî
Ganzer tage drî
unde eteslîche naht!
sô verlür ich niht den lîp und al die maht.
jâ ist si leider vor mir alze vrî.
III
Mich enzündet ir vil liehter ougen schîn,
same daz viur den durren zunder tuot,
und ir vremeden krenket mir daz herze mîn
same daz wazzer die vil heize gluot.
Und ir hôher muot
und ir schoene und ir werdecheit
und daz wunder, daz man von ir tugenden seit,
daz wirt mir vil übel – oder lîhte guot?
IV
Swenne ir liehten ougen sô verkêrent sich,
daz si mir aldur mîn herze sên,
swer dâ enzwischen danne gêt und irret mich,
dem muoze al sîn wunne gar zergên!
Ich muoz vor ir stên
unde warten der vröiden mîn
rehte alsô des tages diu kleinen vogellîn.
wenne sol mir iemer liep geschên?
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „V. Von den elben“ von Heinrich von Morungen ist eine Minnedichtung, die die Höhen und Tiefen der höfischen Liebe thematisiert. Es offenbart die ambivalente Gefühlswelt des Sängers, der gleichermaßen von der geliebten Dame angezogen und durch sie verletzt wird. Das Gedicht ist in vier Strophen unterteilt, die jeweils verschiedene Aspekte der Liebe beleuchten und die Zerrissenheit des Sprechers widerspiegeln.
In der ersten Strophe beschreibt der Dichter, wie er von der „grôzer liebe“ entsehen, also bezaubert und gefangen ist. Die Dame wird als die „beste“, die je ein Mann zur Freundin gewann, bezeichnet. Der Sprecher wünscht sich, dass die Dame ihn mit ihrer Liebe beehrt und ihm dadurch so viel Freude bereitet, dass sein Leib vor Wonne vergehen muss. Hier wird die positive, fast ekstatische Seite der Liebe dargestellt, die den Liebenden zu einem Zustand höchster Glückseligkeit verführen kann. Die Sehnsucht nach gegenseitiger Zuneigung und die Bereitschaft, für diese Liebe alles zu geben, sind zentrale Themen dieser Strophe.
Die zweite Strophe wendet sich der Macht und dem Einfluss der Dame zu. Sie herrscht über das Herz des Sängers und ist ihm „vrowe und hêrer“, also Herrin und Gebieterin. Der Sprecher sehnt sich danach, selbst die Macht zu besitzen, die Dame für drei Tage und Nächte an sich zu binden. Die ungleiche Verteilung der Macht in der höfischen Liebe wird hier deutlich, denn die Dame ist dem Sprecher überlegen. Die unerfüllte Sehnsucht nach der Liebe der Dame und die Unmöglichkeit, sie vollständig für sich zu gewinnen, werden betont. Die Zeilen drücken eine tiefe Sehnsucht nach Gegenseitigkeit und der vollständigen Hingabe der Geliebten aus.
Die dritte Strophe thematisiert die Auswirkungen der Schönheit und des Wesens der Dame auf den Sprecher. Ihr „liehter ougen schîn“ entzündet ihn, während ihre „vremede“ sein Herz quält. Diese Ambivalenz zwischen Anziehung und Ablehnung, Freude und Leid, ist ein zentrales Merkmal der Minne. Die Beschreibung ihrer „hôher muot“ und ihrer Tugenden ruft sowohl Bewunderung als auch Unbehagen hervor. Die Frage, ob diese Gefühle „übel oder lîhte guot“ werden, unterstreicht die Zerrissenheit des Sängers. Die Liebe wird hier als eine Quelle sowohl großer Freude als auch großer Qual dargestellt, ein Zustand, der das Herz des Liebenden zerreißt.
Die vierte Strophe drückt die Sehnsucht nach der Aufmerksamkeit der Dame und die Ungeduld des Sängers aus. Er wartet auf die „vröiden mîn“ (meine Freuden) und vergleicht sich mit den kleinen Vögeln, die auf den Tag warten. Der Sprecher ist völlig abhängig von der Gunst der Dame. Der Wunsch nach Erfüllung und die Frage nach dem Zeitpunkt, an dem ihm jemals Liebe widerfahren soll, kennzeichnen den Schlusspunkt des Gedichts. Das Gedicht endet mit einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit und des Wartens, ein Zustand, der die Unfähigkeit des Sängers verdeutlicht, die Kontrolle über seine Gefühle zu erlangen.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.