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Der unbefugte Kritikus

Von

Ei, welch ein Einfall dir kömmt! Du richtest die Kunst mir, zu schreiben,
Ehe du selber die Kunst, Bester, zu lesen gelernt.

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Gedicht: Der unbefugte Kritikus von Heinrich von Kleist

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der unbefugte Kritikus“ von Heinrich von Kleist ist eine bissige Kritik an einer Person, die sich anmaßt, Kunst zu beurteilen, ohne selbst die Grundlagen des Lesens und Verstehens erlernt zu haben. Es ist ein klassisches Beispiel für eine ironische Wendung, in der der Autor das Verhalten des Kritikers direkt in Frage stellt. Der Titel deutet bereits auf die zentrale Thematik hin: die unbefugte oder unqualifizierte Kritik.

Die ersten beiden Zeilen fassen das zentrale Problem zusammen: Der „unbefugte Kritikus“ wagt es, Kleists Schreibkunst zu richten, also zu beurteilen, bevor er sich selbst die grundlegenden Fähigkeiten des Lesens angeeignet hat. Die rhetorische Frage „Ei, welch ein Einfall dir kömmt!“ drückt Überraschung und Unglauben aus, während die folgende Aussage die Anmaßung des Kritikers offenlegt. Das Wort „richten“ im Kontext der Kunst ist ein starkes Wort, das darauf hindeutet, dass der Kritiker nicht nur eine Meinung äußert, sondern ein Urteil fällt. Die Verwendung von „du“ unterstreicht die persönliche Anrede und die direkte Konfrontation.

Die zweite Zeile setzt die erste in Beziehung. Die Ironie liegt darin, dass der Kritiker die Kunst des Schreibens beurteilt, ohne selbst die Kunst des Lesens zu beherrschen. Kleist impliziert hier eine fundamentale Voraussetzung für jede sinnvolle Kritik: die Fähigkeit, den Text zu verstehen. Wer nicht lesen kann, kann auch nicht verstehen, und wer nicht versteht, kann keine fundierten Urteile fällen. Die Anrede „Bester“ am Ende der Zeile, gepaart mit dem Satz „Ehe du selber die Kunst, Bester, zu lesen gelernt“, ist ein weiteres ironisches Element, das die Überheblichkeit des Kritikers entlarvt und gleichzeitig die Überlegenheit des Autors betont.

Das Gedicht ist ein prägnantes Beispiel für Kleists sprachliches Können und seine Fähigkeit, komplexe Ideen in wenigen Versen auszudrücken. Es ist eine Abrechnung mit allen, die sich ohne fundierte Kenntnisse in die Kunst einmischen. Es lässt sich als eine Warnung verstehen, die man an diejenigen richtet, die glauben, dass sie die Kunst verstehen, ohne die notwendige Grundlage zu haben. In seiner Kürze und Schärfe ist das Gedicht ein Manifest für die Notwendigkeit von Kompetenz und fundiertem Wissen, bevor man sich ein Urteil erlaubt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.