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Tastende Tage

Von

Die Äste in Flammen, die Wipfel entlaubt
Am Kreuze das friedenumsprühete Haupt.

Ein Sehnen und Dehnen, wie Mädchen es haben,
Renettenrot in die Lüfte gegraben.

Ein streckendes Zittern, ein schwellendes Glühen,
Des scheinenden Baumes Adern erblühen.

In gereiztem Scheine Feier-Weh,
Flammt Ziegelglut auf Erdenschnee.

Die versteinerte Glut, ein Liebesgedicht,
Fällt rosig warm auf der Kälte Gesicht.

Einsamkeit der Einsamkeiten,
Welt und ich: wir beide schreiten.

Haltende Hände leise schweben
Zu der Sonne goldenem Geben.

Im schmelzenden Schnee was heimlich geht,
Ob schon der Frühling im Felde steht?

Apostelhäupter im Abendscheine:
Der Kartenspieler trübe Gemeinde.

Die Äste entflammen, die Wipfel entlaubt
Am Kreuze das friedenumsprühete Haupt.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Tastende Tage von Peter Hille

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Tastende Tage“ von Peter Hille thematisiert die stille, fast meditative Stimmung einer Übergangszeit, vermutlich zwischen Winter und Frühling, und reflektiert dabei Einsamkeit, Sehnsucht und die Hoffnung auf Erneuerung. Die Natur erscheint hier im Zwiespalt: Einerseits sind „die Äste in Flammen“, ein Bild für leuchtende Farben und vielleicht die Abendsonne, andererseits sind die „Wipfel entlaubt“, was auf Kälte und Kargheit verweist. Diese Gegensätze spiegeln sich auch im Bild des „friedenumsprüheten Hauptes“ am Kreuz – ein Verweis auf Christus und damit auf Leid und Erlösung zugleich.

In der Bildsprache des Gedichts schwingt ein latentes Sehnen mit: „Ein Sehnen und Dehnen, wie Mädchen es haben“ zeigt das zarte Erwachen der Natur, das noch von Zurückhaltung und Schüchternheit geprägt ist. Die Natur wird sinnlich und fast menschlich beschrieben, etwa durch die „Adern“ des Baumes, die im „schwellenden Glühen“ zu erblühen scheinen. Der Gegensatz von Glut und Kälte zieht sich durch das Gedicht und deutet auf eine stille Erwartung, dass aus der Erstarrung bald neues Leben entsteht.

Hille lässt zudem Einsamkeit und spirituelle Reflexion in das Naturbild einfließen. „Einsamkeit der Einsamkeiten, / Welt und ich: wir beide schreiten“ drückt eine tiefe Verlorenheit und zugleich eine besondere Nähe zwischen Ich und Welt aus. Diese intime Zweisamkeit zwischen dem lyrischen Ich und der Natur wird durch die „haltenden Hände“ versinnbildlicht, die sich der „Sonne“ entgegenstrecken – ein zarter Versuch, Licht und Wärme zu empfangen.

Im letzten Drittel wird der Blick wieder auf die äußere Welt gelenkt: Das Bild der „Apostelhäupter im Abendscheine“ in Verbindung mit der „trüben Gemeinde“ der Kartenspieler evoziert eine melancholische, fast sakrale Szenerie, die von einer gewissen Resignation durchzogen ist. Der Schluss kehrt zurück zur Ausgangszeile, was die kreisförmige, fast liturgische Struktur des Gedichts unterstreicht. „Tastende Tage“ wirkt wie ein poetisches Innehalten zwischen den Jahreszeiten und beschreibt eine Welt im Übergang – unsicher, sehnsüchtig und von einer zarten Hoffnung durchzogen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.