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Mein Kreuz

Von

An meinen Werken bin ich aufgenagelt,
Ich bin so tot, wie sie lebendig sind.
Mein Blut ist all in sie hineingeflossen.
Zerwühltes Himmellager. Schwefelwerk
Baut heiß und gleißend, schwer und schwarz sich auf.
Ich bin so tot, wie sie lebendig sind
Und fühle hinter meinem Haupte rascheln
Wie welken Kranz den Saft der mir entstieg.
Der mich verließ
der treulos floß hinüber.
Wie eine Schmähschrift
Zischelt sich’s ins Ohr mir:
Ich bin so hoch, wie die da niedrig sind.
Und bin so ganz verkehrt an jedem Sein,
Ein Spielzeug strenger Himmel, das zerbrochen
Von Anbeginn.
Und mürrisch läßt
Es mich im Winkel – und schwingen blühend
Hin hohe Reigen. Frageliebesblick
Munterer Weltenmädchen
Plaudert.
Und wie ich niederschaue totverloren,
Da wiehert auf das Kaffeehaus und reicht
Aus spitzem Keil, dem tintengiftumgrünten –
Aasfliegen strotzen so im Schillerpanzer –
Mir einen Wisch mit Lauge.
Von Doktor So und so.
Und Jüngerfrauen,
Die stehn gar mildiglich verwundert, unverwandt
Zu mir empor zu schauen.
Dann ruft der Topf sie
„Leben Sie recht wohl, Herr Hille!“

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Gedicht: Mein Kreuz von Peter Hille

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Mein Kreuz“ von Peter Hille ist eine düstere, selbstreflexive Auseinandersetzung mit dem Leiden des Künstlers an seinem eigenen Schaffen und an der Welt. In stark expressionistischer Bildsprache beschreibt Hille den Zustand des Ausgebranntseins: Das lyrische Ich fühlt sich „an seinen Werken aufgenagelt“ und damit an das Kreuz gebunden – eine klare Anspielung auf das Leiden Christi, jedoch hier übertragen auf die künstlerische Existenz. Die Werke erscheinen als lebendige Entitäten, während der Schöpfer selbst ausgezehrt und „tot“ zurückbleibt.

Die Sprache ist von starken Gegensätzen geprägt: hell und dunkel, Leben und Tod, Schöpfung und Auszehrung. Die „Schwefelwerke“ und das „zerwühlte Himmellager“ lassen eine apokalyptische Szenerie entstehen, in der das lyrische Ich zwischen Schöpfungslast und innerem Zerfall gefangen ist. Auch der „welkende Kranz“ verweist auf einen Verlust an Lebenskraft und erinnert an das Leiden eines Märtyrers oder eines zerrissenen Künstlers. Die Schmähung „Ich bin so hoch, wie die da niedrig sind“ verdeutlicht den inneren Konflikt zwischen Erhabenheitsgefühl und Verlorenheit, zwischen künstlerischem Anspruch und gesellschaftlicher Isolation.

Das Gedicht mündet schließlich in eine bittere Alltagsszene: das triviale „Kaffeehaus“ mit seinem Spott und die banale Verabschiedung „Leben Sie recht wohl, Herr Hille!“ durch die Stimme eines Kochtopfs wirken fast grotesk. Der Kontrast zwischen dem inneren Martyrium des Künstlers und der Gleichgültigkeit oder Oberflächlichkeit der Außenwelt verstärkt die Verzweiflung. „Mein Kreuz“ ist somit eine kraftvolle Klage über das Opfer des Künstlers, der an der Welt und an sich selbst leidet, zugleich aber auch ein resignierter Blick auf die Trivialität des Alltags und das Unverständnis der Mitmenschen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.