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Brautmorgen

Von

Des Erwachens Knospe schwillt,
Hochrosig tönt sich der regere Schlummer.
Zögernd, selig bang,
Lange, lange.
Weit offen die lauschende Seele.
War es, war es nicht?
Das schreckende Märchen,
So hold und so wild!
Ein leiser Blick stiehlt sich um.
Ja, es ist da
Und sieht doch gar nicht gefährlich aus –
Und wie ruhig es atmen kann!
Als sei nichts,
Aber auch gar nichts passiert.
War das da denn so furchtbar,
So unverschämt – und scheußlich,
So zu sich zwingend –
Und kehrte sich an nichts.
Möglich, daß nur’s Dunkel so drauf wirkt.
Dieses gute schlummernde Kind,
Dieser schlummernde Friede

*     *     *

Und wieder sieht sie starr und steif nach oben,
Wie die Toten ihre Heimat sehen.

*     *     *

Nun wird es sich regen das Kind,
Das Kind mit dem seidenen Schnurrbart.
Etwas müde, selige Sterne
Sind still noch im verwunderten Glück.
Ja, das, das ist die Liebe,
Die lebensinnige, seelenvolle Liebe,
So still, so traulich still,
So mit der vollen Seele angesprengt!
Ja, das andere – früher –
Wie für die Knaben –
Wie mochte man nur?
Nun kann man haben
Die liebe lange Nacht
In inniger Macht
Bezaubernde Gaben,

*     *     *

Die sich nur bieten dem Mann,

*     *     *

Und nach des Dunkels
Stürmender Wildheit –
Leisheit scheu und zart,
Unter der ein Schelm liegt verwahrt.
Ein bedeutsam lautlos sich Stehlen von dannen,
Daß man getrennt
Tummeln sich kann,
Und auf das Reich
Der nächtlichen Wildheit
Gebender Friede sich senke.

*     *     *

Getränkt das erste gierige Dürsten,
Der zueinander Gedrängten
Lebenbeherrschenden Kräfte.
Zerrissen
Der alles gewährenden Nacht
Magnetisches Netz.
Der zweiten Keuschheit
Köstliche Müdigkeit ruht
In dem wieder
Niedergeschwiegenen Blut,
Bis des Lebens innige Anmut
Wieder heiter steigende Kräfte gewinnt.
Und weiter sich spielt
Nach des Lebens lieblicher Weise.

*     *     *

Nun ruhig etwas Stille,
Etwas wie eine leise Feindschaft,
Bis freundlich suchend sich neigt
Liebender Überfluß hin,
Wie sich des Auges labendes Rund
Wendet zu frommen, dürstendem Mund.

*     *     *

So schwellt geruhig hinan
Ihr lange anwogenden
Wellen des Lebens
Fremden schon anheimgegeben
Treiben weiter die Säfte gemeinsamer Kraft
Innig verbunden
Einem neuen Menschen zu,
Dem Kinde gemeinsamer Liebe.

Jauchzt mit den jungen,
Den seelelebendigen,
Liebenden Leibern,
Jauchzet euch Kinder,
Gespielen zu haben,
Gespielen zu sein
Fröhlich übertollenden Lebens,
Ehe die rottende Horde der Übel
Drückend sich sammelt in alten Körpern.

*     *     *

So nun sammelt euch wieder
An des blumenblau gemusterten Gartentisches
Morgenzartem Imbißbehagen.
Knusprige Brötchen
Sind gar leicht zu mahlen.
Der braune starke Seim der Schokolade
Gibt wieder steigend heißen Mut
Nicht mehr weichenden Augen,
Ruhende Röte erwärmt euer Leben
Schon wieder an,
Das zärtlich dankende Leben,
Das in der Vergangenheit Liebreiz
Wonnen der Zukunft erschaut.
So köstlich erneuert sich Jugend.
Herrscht gewichtig
In wiederverschwiegener Güte,
Kredenzende Hausfrau,
Mit des silberklirrenden Löffels
Blinkendem Zepter!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Brautmorgen von Peter Hille

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Brautmorgen“ von Peter Hille beschreibt in einer atmosphärisch dichten und facettenreichen Weise die Stimmung und das Erleben einer Frau am Morgen nach der Hochzeitsnacht. Im Zentrum steht das leise Erwachen der Braut, die zwischen Verunsicherung, Scham, Glück und einer neuen inneren Reife schwankt. Die Gedanken kreisen um das Erlebte in der Nacht, das zugleich als überwältigend, fremd und doch liebevoll erlebt wird.

Hille beschreibt mit zarter Symbolik das Erwachen einer neuen Lebensphase. Die Braut betrachtet den neben ihr schlafenden Ehemann – „das Kind mit dem seidenen Schnurrbart“ – mit Erstaunen und zunehmender Zärtlichkeit. Das Motiv der „zweiten Keuschheit“ verweist auf die besondere Müdigkeit und innere Ruhe nach der Erfüllung der körperlichen Vereinigung. Gleichzeitig wird das Erlebnis der Nacht in den Kontrast zu früheren, unreiferen Vorstellungen von Liebe gesetzt („Wie für die Knaben – wie mochte man nur?“). Daraus spricht die Erkenntnis, dass Liebe und Erotik nun eine tiefere, seelenvollere Bedeutung erhalten haben.

Formal gliedert sich das Gedicht in viele lose Abschnitte, die wie Gedankenfetzen oder Stimmungsbilder wirken. Der Wechsel zwischen sinnlicher Beschreibung und zurückhaltender Andeutung – etwa wenn von der „nächtlichen Wildheit“ die Rede ist – lässt die Zartheit und Unsicherheit der Braut spürbar werden. Hilles Sprache oszilliert zwischen poetischer Verspieltheit und existenzieller Tiefe. Auch die Naturmetaphorik der „wieder anwogenden Wellen des Lebens“ verweist auf den natürlichen Kreislauf von Zeugung, Erfüllung und Erneuerung.

Am Ende mündet das Gedicht in eine sanfte Alltagsidylle: Das Frühstück nach der Hochzeitsnacht wird fast sakral verklärt, wenn „die kredenzende Hausfrau“ mit dem „blinkenden Zepter“ des Löffels über das Morgenmahl herrscht. Hier zeigt sich Hilles Liebe zur Verbindung von Alltagsbeobachtung und tiefer symbolischer Aufladung. Der „Brautmorgen“ wird zu einer Feier der Liebe, des Neubeginns und der leisen, aber machtvollen Verwandlung, die das gemeinsame Erleben von Intimität und Zärtlichkeit hinterlässt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.