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Das Alter

Von

Euch, lose Mädchen, hör′ ich sagen:
»Du bist ja alt, Anakreon.
Sieh her! du kannst den Spiegel fragen,
Sieh, deine Haare schwinden schon;
Und von den trocknen Wangen
Ist Blut′ und Reiz entflohn.« –
Wahrhaftig! ob die Wangen
Noch mit dem Lenze prangen,
Wie, oder ob den Wangen
Der kurze Lenz vergangen,
Das weiß ich nicht; doch was ich weiß,
Will ich euch sagen: daß ein Greis,
Sein Bißchen Zeit noch zu genießen,
Ein doppelt Recht hat, euch zu küssen.

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Gedicht: Das Alter von Gotthold Ephraim Lessing

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Alter“ von Gotthold Ephraim Lessing ist eine charmante und humorvolle Antwort auf die Kritik an dem Alter des Dichters. Es beginnt mit der direkten Anrede an „lose Mädchen“, die ihm vorwerfen, er sei alt, und seine körperliche Vergänglichkeit durch den Verlust der Jugendlichkeit betonen. Die Mädchen lenken die Aufmerksamkeit auf sein Alter und seine Veränderungen, indem sie ihn auffordern, seinen Spiegel zu betrachten, in dem er die Zeichen des Alterns sieht. Die einleitenden Verse setzen den Ton für die gesamte Auseinandersetzung und zeigen das Verständnis des Dichters für die von ihm wahrgenommene Kritik.

Der Kern des Gedichts ist die Reaktion auf die Kritik. Lessing scheint sich nicht im Geringsten von den Einwänden der Mädchen beirren zu lassen. Er räumt die Veränderungen ein, die das Alter mit sich bringt, und erklärt im Wesentlichen, dass er sich nicht darum kümmert, ob seine Wangen noch jugendlich aussehen oder nicht. Die Zeilen „Wahrhaftig! ob die Wangen / Noch mit dem Lenze prangen, / Wie, oder ob den Wangen / Der kurze Lenz vergangen, / Das weiß ich nicht“ deuten auf eine gewisse Gleichgültigkeit oder Akzeptanz des Alterns hin. Lessing scheint sich mehr auf andere Dinge zu konzentrieren, die in seinen Augen im Leben von Bedeutung sind.

Anstatt sich auf das Äußere zu konzentrieren, leitet Lessing eine unerwartete Wendung ein. Er beendet das Gedicht mit einer selbstbewussten und spitzbübischen Feststellung: „daß ein Greis, / Sein Bißchen Zeit noch zu genießen, / Ein doppelt Recht hat, euch zu küssen“. Diese Schlussfolgerung verkehrt die ursprüngliche Kritik in ihr Gegenteil und verwandelt das Alter in einen Vorteil. Er nutzt die vermeintliche Schwäche seines Alters als Argument für eine erhöhte Berechtigung zu genießen und zu lieben. Dieser Abschluss ist eine überraschende, humorvolle und letztlich triumphale Reaktion auf die jungen Kritikerinnen.

Die Stärke des Gedichts liegt in seinem Witz und seiner Fähigkeit, die Erwartungen des Lesers zu untergraben. Lessing verwendet eine einfache Sprache, die für die Leser leicht verständlich ist. Er schafft eine direkte, fast schon gesprächsartige Atmosphäre. Der humorvolle Ton und die überraschende Schlussfolgerung machen das Gedicht einprägsam und unterhaltsam. Es handelt von der Akzeptanz des Alterns, der Wertschätzung des gegenwärtigen Augenblicks und dem Recht, das Leben in vollen Zügen zu genießen, unabhängig vom Alter.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.