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Der Krieg

Von

Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,
Aufgestanden unten aus Gewölben tief.
In der Dämmrung steht er, groß und unerkannt,
Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.

In den Abendlärm der Städte fällt es weit,
Frost und Schatten einer fremden Dunkelheit,
Und der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis.
Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner weiß.

In den Gassen faßt es ihre Schulter leicht.
Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht erbleicht.
In der Ferne wimmert ein Geläute dünn
Und die Bärte zittern um ihr spitzes Kinn.

Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen an
Und er schreit: Ihr Krieger alle, auf und an.
Und es schallet, wenn das schwarze Haupt er schwenkt,
Drum von tausend Schädeln laute Kette hängt.

Einem Turm gleich tritt er aus die letzte Glut,
Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut.
Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt,
Von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.

Über runder Mauern blauem Flammenschwall
Steht er, über schwarzer Gassen Waffenschall.
Über Toren, wo die Wächter liegen quer,
Über Brücken, die von Bergen Toter schwer.

In die Nacht er jagt das Feuer querfeldein
Einen roten Hund mit wilder Mäuler Schrein.
Aus dem Dunkel springt der Nächte schwarze Welt,
Von Vulkanen furchtbar ist ihr Rand erhellt.

Und mit tausend roten Zipfelmützen weit
Sind die finstren Ebnen flackend überstreut,
Und was unten auf den Straßen wimmelt hin und her,
Fegt er in die Feuerhaufen, daß die Flamme brenne mehr.

Und die Flammen fressen brennend Wald um Wald,
Gelbe Fledermäuse zackig in das Laub gekrallt.
Seine Stange haut er wie ein Köhlerknecht
In die Bäume, daß das Feuer brause recht.

Eine große Stadt versank in gelbem Rauch,
Warf sich lautlos in des Abgrunds Bauch.
Aber riesig über glühnden Trümmern steht
Der in wilde Himmel dreimal seine Fackel dreht,

Über sturmzerfetzter Wolken Widerschein,
In des toten Dunkels kalten Wüstenein,
Daß er mit dem Brande weit die Nacht verdorr,
Pech und Feuer träufet unten auf Gomorrh.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Krieg von Georg Heym

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Krieg“ von Georg Heym zeichnet ein gewaltiges, apokalyptisches Bild des Krieges als personifizierte, unaufhaltsame Macht. Der Krieg wird als unheimliche Gestalt beschrieben, die „unten aus Gewölben tief“ aufsteht und wie ein übernatürliches Wesen in die Welt einbricht. Schon im ersten Bild, in dem er den Mond „in der schwarzen Hand“ zerdrückt, wird seine zerstörerische Kraft deutlich. Heym inszeniert den Krieg als eine alles verschlingende Macht, die Dunkelheit, Frost und Schrecken über die Städte bringt.

Das Gedicht arbeitet stark mit der Personifikation: Der Krieg erscheint wie ein dämonischer Riese, der aus der Dämmerung heraus agiert und die Menschen mit lähmender Angst erfüllt. Seine Präsenz bringt das Leben der Städte zum Stillstand, die Märkte erstarren „zu Eis“, und eine allgemeine Sprachlosigkeit breitet sich aus. Die Szene wirkt surreal und beklemmend – das Unheil ist spürbar, aber für die Menschen noch unerklärlich.

In der zweiten Hälfte des Gedichts steigert sich die Bedrohung in ein Inferno aus Feuer und Tod. Der Krieg „tanzt“ auf den Bergen und lässt „tausend Schädel“ als Kette um sich schwingen. Die Bilder verdichten sich zu einer apokalyptischen Szenerie: Flüsse sind „voll Blut“, Leichen liegen „im Schilf gestreckt“ und Städte versinken in „gelbem Rauch“. Heym nutzt hier typische expressionistische Mittel wie Übersteigerung, Gewalt und starke Kontraste, um die Katastrophe des Krieges als monströses Naturereignis darzustellen.

Besonders eindrucksvoll ist die Bildlichkeit des Feuers: Der Krieg jagt das Feuer wie einen „roten Hund“ durchs Land, „fegt“ Menschen in die Flammen und zerstört Wälder und Städte. Das Feuer steht dabei sowohl für die physische Zerstörung als auch für die moralische Verwüstung. In der letzten Strophe findet die Apokalypse ihren Höhepunkt, als die brennenden Städte und die „sturmzerfetzte“ Landschaft wie eine moderne Version von Sodom und Gomorrha erscheinen.

Insgesamt vermittelt das Gedicht eine tiefgreifende Anklage gegen den Krieg, der als alles vernichtende, unbarmherzige Macht erscheint. Heym verbindet mythische und biblische Anspielungen mit einer drastischen, bildgewaltigen Sprache, die den Krieg als dämonischen Akteur inszeniert, der die Welt ins Chaos und in die Vernichtung stürzt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.